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Kolumne: Seelenstriptease

Geht es um eine traurige Angelegenheit, einen Streit oder etwas Unangenehmes, dann sagt das Klischee: Frau weint. Mann nicht. Ist das wirklich so? Auch wenn Frauen Sturzbäche weinen können, heißt es nicht, dass man daran den Maßstab für angemessene Trauer setzen darf. Oder?

Da stand ich also in der Tür und habe so laut geschluchzt wie schon lange nicht mehr. Jede Frau kennt es, wenn ab und an mal eine Träne über die Wange läuft. Da braucht es nur ein schönes Zitat, einen guten Film und schon ist es passiert und wir wischen uns unbewusst (weil es einfach absolut normal ist) die kleine Träne weg und gehen über zur Tagesordnung. Doch die richtigen Sturzbäche, die signalisieren, dass gerade alles Kopf steht und das Leben von heute auf morgen den Gesetzen der Chaostheorie unterliegt, nagen natürlich an uns. Vor allem, wenn ein Mann gegenüber steht, der genauso weint. Und wir uns kurz denken: Stopp. Das kenne ich so doch gar nicht. Ich bin doch immer die Einzige im Raum, die Tränen hinunterschluckt und die geröteten Augen kaum noch öffnen kann.

Dass Männer nicht dazu neigen, ihre Gefühle lauthals zum Ausdruck zu bringen, ist natürlich nichts Neues. Manche Frauen kommen damit überhaupt nicht klar und schimpfen ihren Partner als unfähigen Steinklotz, der mit dem emotionalen Empfinden einer Amöbe gesegnet ist. Das ist nicht unbedingt die feine, englische Art, aber in manchen Situationen kann ich verstehen, warum frau das vorwirft und sichtlich nicht mit ihrem Gegenüber klarkommt. Ich kenne Männer, die in ihrem Empfinden noch nie tiefer gegraben haben, wie so manches Kind im Sand gebuddelt hat. Natürlich stößt man durch die Abneigung, Gefühle zuzulassen, seltener auf Unangenehmes und lässt sich das vermeiden, vermeidet man es. Logisch. Logisch? Eben. Der Gedankengang eines Mannes ist meist logisch. Da hat Emotion wenig Platz.

So viel zum Klischee, was definitiv einen großen Teil der Wahrheit beinhaltet. Umso mehr überrascht es uns Frauen, wenn ein Mann zeigt, was in ihm vorgeht. Wenn er auf einmal das Gespräch sucht oder zumindest auf ein paar unbequeme Fragen antwortet. Oder eben auch mal eine Träne vergießt. Wenn mir dann manchmal Freundinnen sagen, dass sie nicht damit zurechtkommen würden, wenn ein Mann auf einmal über seine Gefühle sprechen will, wird mir immer öfter klar, warum Männer sich so schwer tun, Frauen zu verstehen. Da werden sie über Jahre hinweg zum emotionalen Dialog gezwungen und wenn sie dann die Hemmungen fallen lassen, findet frau das oftmals unmännlich und sucht das Weite.

Ich habe erst ein einziges Mal einen Mann erlebt, der emotional so geklammert und dies nicht nur durch Taten sondern auch durch Worte ständig zum Ausdruck gebracht hat, dass ich ihm heute raten würde, eine Therapie zu machen. Damals mit 16 fand ich es einfach nur anstrengend. Dabei blieb es aber auch und der gängige Typ Mann, der Dinge lieber mit sich selbst ausmacht – und manchmal nicht mal das – lief mir in den letzten Jahren weitaus mehr über den Weg.

Nur eine Sache darf man als Frau bei dieser Diskussion nicht vergessen: Fair bleiben. Nur weil mann nicht weint und nicht reden möchte, heißt es nicht, die Trauer sei nicht vorhanden. Wenn ein Mann reden möchte, dann wird er reden. Und wenn ein Mann die für sich richtige Frau gefunden hat, dann wird er sowieso lernen, den Mund aufzumachen oder durch eine Geste zu zeigen, wie es in ihm aussieht. Man kann niemanden zu etwas zwingen, was nicht unbedingt seiner Natur entspricht. Wie würde es schließlich aussehen, wenn wir Frauen neuerdings auf emotionsgeladene Trauerausbrüche verzichten und den Ballast hinunterschlucken müssten? Ich glaube, da hätte die Welt weitaus mehr Probleme, als sie es mit der gängigen Gefühlsverteilung hat.

Abgesehen davon: Wenn frau den richtigen Mann gefunden hat, dann weiß sie meist, was in ihm vorgeht. Weil sie erprobt ist, zwischen den geschlossenen Lippen und den nicht vorhandenen Zeilen zu lesen.

Foto: Anika Landsteiner

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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