Kaffee ist aus dem deutschen Alltag nicht mehr wegzudenken. Ob morgens zum Frühstück, als Energielieferant im Büro oder als gemütlicher Abschluss des Abendessens – die Deutschen lieben ihren Kaffeegenuss. Doch viele Kaffeetrinker:innen machen sich kaum Gedanken darüber, woher die Bohnen für ihr Lieblingsgetränk eigentlich kommen und wie fair die Produzent:innen in den Anbauländern behandelt werden.
Ein deutsches Start-up-Unternehmen will das ändern und setzt dort an, wo die meisten ihren Cappuccino oder Espresso genießen: im Büro. Denn hier werden oft große Mengen Kaffee konsumiert, ohne dass Herkunft und Produktionsbedingungen bekannt sind. Das Unternehmen will durch transparente Prozesse und fairen Handel die Arbeitsbedingungen in den Anbauländern verbessern und sozialverträgliche Produktionsbedingungen fördern. Im Interview gibt der Gründer von Coffee Annan, Marcel Lorenz, einen Blick hinter die Kulissen der Kaffeeherstellung.
1. Wann ist Kaffee wirklich nachhaltig?
„Kaffee ist nachhaltig, wenn dieser biologisch angebaut wird. Wenn Menschen, die in der gesamten Wertschöpfungskette involviert sind fair beteiligt werden und Konsument:innen dennoch ein möglichst erschwinglicher Preis geboten werden kann.“
2. Wie sieht die Realität aus?
„Die Kaffeeindustrie steht vor einigen Herausforderungen. Durch den Klimawandel wird der Kaffeeanbau bis 2050 um etwa 50% zurückgehen, während die Nachfrage weiter steigt. Kinderarbeit und die Gleichstellung von Frauen sind ebenfalls ein großes Problem. Zwar wird ein Großteil der Arbeit von Frauen getätigt, doch haben diese oftmals kein Land oder Zugang zur finanziellen Unterstützung. Ein weiteres Problem ist die Verteilung des Profits zwischen Anbau- und Konsumländern. Handelstrukturen sind weiterhin kolonialistisch geprägt sodass nur etwa 15% des Verkaufspreises in den Produktionsländern verbleibt. Es gibt viel zu tun, um einen wirklich nachhaltigen Kaffee zu machen.“
3. Welche Rolle spielt FairTrade bei der Unterstützung von Kaffeeproduzent:innen und der Förderung eines nachhaltigen Kaffeeanbaus?
„FairTrade hat sicherlich viel getan, um das Bewusstsein der Verbraucher:innen für fairen Handel unter ethischen Bedingungen zu schärfen. Konsument:innen sind bereit, für fairen und ethischen Handel einen Aufpreis zu bezahlen. Allerdings löst das FairTrade-Label das fundamentale Problem der Kaffeeindustrie nicht. Fast alle Kaffees verlassen die Anbauländer als Rohmaterial. Stattdessen sollte die Wertschöpfung, zum Beispiel das Kaffeerösten, in den Kaffeeländern gefördert werden. Nach wie vor wird der Großteil am Kaffee im Westen verdient, die produzierenden Länder bekommen nur einen kleinen Bruchteil.“
4. Wie können Kaffeeproduzent:innen und -händler:innen heute den Kaffeehandel ethischer gestalten und Ungerechtigkeiten ausgleichen?
„Eine effiziente Lieferkette ist entscheidend für die Qualität und Nachhaltigkeit des Kaffees. Durch den direkten Handel werden Gelder am richtigen Ort verwendet und Händler:innen können aktiv an der Verbesserung der Rohkaffeequalität mitwirken. Hochwertiger Kaffee erzielt höhere Preise auf dem Markt und Konsument:innen können dazu beitragen, indem sie sich für im Ursprungsland gerösteten Kaffee entscheiden. Dies schafft qualifizierte Arbeitsplätze und wirkt sich direkt auf das Leben der Menschen vor Ort aus.
Der internationale Kaffeehandel stellt eine Herausforderung dar, wenn es darum geht, Gerechtigkeit zu fördern. Kleinbäuer:innen, insbesondere Frauen, die einen großen Anteil an der Kaffeeproduktion haben, erhalten nur einen minimalen Anteil an den Gewinnen. Um diese Ungleichheit zu bekämpfen, können Kaffeeunternehmen zum Beispiel sicherstellen, dass sie fair gehandelten Kaffee direkt von den Kleinbauern kaufen und ihnen einen angemessenen Anteil am Gewinn sichern. Unternehmen können auch in Programme investieren, die Kleinbäuer:innen und insbesondere Frauen in den Bereichen Finanzen und Bildung unterstützen, um ihre Position auf dem Markt zu stärken und ihre Erfolgschancen zu erhöhen.“
5. Inwiefern kann der Kaffeekonsum in wohlhabenden Ländern dazu beitragen, den Kaffeeanbau in ärmeren Ländern zu unterstützen und den Lebensunterhalt von Kaffeeproduzenten zu verbessern?
„Mehr Transparenz.
Die Schwierigkeit besteht darin, dass Verbraucher:innen nicht wirklich wissen, was hinter den Kulissen passiert. Viele Röstereien legen deshalb ihre Beziehungen zu den Kaffeeproduzent:innen offen und zeigen, welche Preise gezahlt werden. Das schafft auch Vertrauen bei Verbraucher:innen.
Wer den Lebensunterhalt von Produzent:innen verbessern möchte, achtet auf Qualität, z.B. durch Lesen der Verpackung, ob tatsächlich direkte Beziehungen zwischen Farmer:innen und Röster:innen bestehen. Ansätze wie das Rösten und Verpacken in den Ursprungsländern bieten einen echten Mehrwert entlang der gesamten Kaffeelieferkette. Dadurch werden Produzent:innen besser in den Handel miteinbezogen und es bleibt mehr Geld in den Anbauländern.“
6. Wie können Verbraucher:innen informiert werden und aktiv dazu beitragen, den Kaffeehandel ethischer und nachhaltiger zu gestalten?
„Die Information läuft immer über die Marke, die ein Werteversprechen abgibt. Vielmehr sollte man den Produzent:innen im Anbauland eine Stimme geben.“
7. Welche innovativen Ansätze gibt es, um den Kaffeehandel gerechter zu gestalten, wie beispielsweise Direct-Trade-Beziehungen oder Community-Driven-Entwicklungsprogramme?
„Beim Direct Trade Modell stehen Produzent:innen und Röster:innen im direkten Austausch mit dem Ziel, die Kaffeequalität fortlaufend zu verbessern. Dies führt zu höheren Preisen und besserer Qualität in der Tasse. Außerdem bekommen die Produzent:innen dadurch Feedback aus dem Markt und können dieses in ihre Arbeit einfließen lassen.
Unser Roasted at Origin Ansatz basiert auf einem direkten Handelsmodell. Durch die Veredelung im Anbauland durch Rösten und Verpacken werden qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen und mehr Geld bleibt bei den Menschen, die es am meisten verdienen.“
8. Wie können Regierungen in Kaffeeproduktionsländern und international agierende Organisationen dazu beitragen, die Bedingungen für Kaffeeproduzent:innen zu verbessern und den Kaffeehandel fairer und nachhaltiger zu gestalten?
„Über 99% des exportierten Kaffees verlässt die Anbauländer als Rohprodukt. Das Geld wird mit der Röstung in den Ländern verdient, in denen der Kaffee konsumiert, aber nicht produziert wird. Ein kolonialistisches Geschäftsmodell. Wir versuchen das zu ändern und wünschen uns mehr Unterstützung von den Regierungen der Anbauländer, die Wertschöpfung im eigenen Land zu fördern. In Äthiopien dauert der Papierkrieg für jeden Export mehrere Tage. In Uganda haben wir für den Export von Röstkaffee den gleichen Steuersatz wie für Rohkaffee, zahlen aber aufgrund des höheren Wertes effektiv mehr Steuern als Exporteur:innen, die nur mit Rohkaffee handeln.“
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Fotos: Coffee Annan