StartLifestyleUmweltUrban Gardening: Beete erobern die Stadt zurück

Urban Gardening: Beete erobern die Stadt zurück

Das Leben in der Stadt hat seine Vorteile. Nah zur Uni oder zum Arbeitsplatz, alle Geschäfte, die man braucht, Kitas mit akzeptablen Öffnungszeiten, falls es notwendig wird und natürlich Kinos und Kneipen. Du würdest trotzdem ab und zu auch gerne richtig in der Erde wühlen, eigenes Gemüse ziehen, selbst etwas gestalten? Du bist nicht allein! Urban Gardening ist voll im Trend!

In manchen Gegenden ist es einfach eine Notwendigkeit: Wo die Leute arm sind, helfen Stadtgärten beim Überleben, in Kuba, Venezuela oder Südafrika beispielsweise. Oft sind es Projekte, die viel mehr sind als reine Nahrungserzeugung. Sie schaffen Zusammenhalt, erhalten Wissen über Kulturtechniken und ermöglichen eine gewisse Unabhängigkeit innerhalb der bestehenden Verhältnisse. Viele Entwicklungshilfeprojekte setzen deshalb inzwischen ebenfalls auf Urban Gardening.

Gut fürs Mikroklima

Solche Stadtgärten haben aber auch einen positiven Effekt auf das lokale Klima: Sie speichern Regenwasser, das sonst wegkanalisiert werden müsste. Sie bilden kleine grüne Oasen, die die Stadtluft verbessern und Insekten und Vögeln Zuflucht bieten. Die Menschen, die dort anbauen, haben keine weiten Wege, und es wird Nahrung erzeugt, die nicht transportiert werden muss.

Gartenzwerg ade – jetzt kommt der Gemeinschaftsgarten

Deutsche Kleingärtner, diese traditionelle Form hiesigen Stadtgärtnerns, gelten oft als spießig, dank vorgeschriebener Heckenhöhe und der scheinbar unsterblichen Spezies der Gartenzwergliebhaber. In der Praxis trifft das auf manche sicher immer noch zu, andere haben sich längst unter dem Druck der Realität von preußischen Umgangsformen verabschiedet. Daneben haben sich jedoch noch andere Formen herausgebildet, oft mit einem Anspruch, der über das Gemüse hinausgeht. Gemeinsam Gärtnern verbindet, unabhängig von Herkunft und Sprachkenntnissen, und es kostet fast nichts.

Man muss es ja nicht so weit treiben wie die „Guerilla-Gärtner“, die heimlich öffentliche Grünanlagen umgestalten, eine Idee, die von der New Yorker Aktivistengruppe Green Guerillas stammt. Doch es sind an vielen Orten offene Gemeinschaftsgärten entstanden, in denen jeder und jede mitarbeiten kann – die Datenbank von anstiftung.de zählt mehr als 600 in Deutschland.

Allmende-Kontor
Allmende-Kontor, ein Gemeinschaftsgarten auf dem stillgelegten Flughafenfeld Berlin-Tempelhof

Gärtnern für alle – das Erfolgsmodell aus Kreuzberg

Der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg wurde dabei international zum Vorzeigeobjekt. Die Idee brachte Gründer Robert Shaw aus Kuba mit. Weder Shaw noch Mit-Gründer Marco Clausen hatten groß Ahnung von Gartenbau. Ziel war es auch nicht, maximalen Ertrag aus einer eher nicht dafür geeigneten Bodenfläche zu holen. Ihr Konzept war, den Menschen vor Ort eine solche Möglichkeit anzubieten – eine sinnvolle Aktivität jenseits des Konsumismus und mit höchst greifbarem Ergebnis.

Auf einer gepachteten Brachfläche am Moritzplatz ging es an die Umsetzung. Zum Müllsammeln und Aufräumen kamen 150 Leute. Das Besondere an diesem Garten ist, dass die Pflanzen nicht in der Erde wachsen, sondern in Behältern. So hätte man sie jederzeit umziehen können.

Niemand hat dort sein eigenes Beet – alle packen überall mit an. Zum Ausgleich neben der Bildschirmarbeit, weil man es sinnvoll findet, Gemüse vor Ort zu erzeugen oder weil es einfach Spaß macht. Strukturiert wird der Betrieb durch Angestellte und Freiwillige.

Garten vs. Immobiliendeal

Der Prinzessinnengarten wurde mehr als eine Fläche für Gartenbau-Experimente. Es bildete sich darum herum ein soziales Netzwerk, das zusammenstand, als der Platz zum ersten Mal verkauft werden sollte. Auch in Berlin wird der Boden immer teurer und immer begehrter. Dort zeigt sich beispielhaft der größte Feind des Urban Gardening: Alles, was irgendwie zu Bauland gemacht werden könnte, ist für den Besitzer zu wertvoll, als dass er darauf nur Erbsen und Möhren wachsen lassen wollte.

Der aktuelle Stand am Prinzessinnengarten: Der Großteil der Gruppe zieht auf eine Fläche in Neukölln, wo sie sich dauerhaft eine Zukunft und auch bessere Möglichkeiten zu gärtnern erhofft. Der verbliebene Teil kämpft noch für einen langfristigen Nutzungsvertrag am Moritzplatz.

Prinzessinnengarten Berlin
Reichhaltige Pflanzenauswahl in den Prinzessinengärten (von AssenmacherEigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link)

Urban Gardening als Konzept der Zukunft

Zukunftsforscher sehen im Urban Gardening und seinen Weiterentwicklungen wie Urban Farming und Vertical Farming (vor allem indoor) allerdings den Lösungsansatz für die Versorgung der kommenden Generationen. Denn städtische Flächen mögen zwar begehrt sein, fruchtbarer Boden auf dem Land ist aber auch nicht unendlich und weite Transportwege sind bekanntlich auch ein Problem. Städtische Gewächshäuser, in denen der Salat indoor auf mehreren Etagen wächst und von sparsamen LED-Lampen bestrahlt wird, sind längst Realität: Keine Schnecken, keine Transportkosten, das ganze Jahr über sofort frisch auf dem Teller.

Ernten, anrichten, servieren

Ein Restaurant, bei dem du deinem zukünftigen Essen sogar beim Wachsen zusehen kannst, ist das „Good Bank“ in Berlin. Die Regale mit Salat sind Teil der Inneneinrichtung. Frischer geht es nicht: ernten, anrichten, servieren. Inzwischen reichen die dort gezogenen Köpfe nicht mehr aus, um alle Esser zu versorgen, und das Team musste zusätzliche Räume mieten.

Zugreifen statt Finger weg

Ein anderes Konzept von Urban Gardening hat die Stadt Andernach. Statt Zierpflanzen wachsen in den öffentlichen Rabatten jetzt Obst und Gemüse. In der „Essbaren Stadt“ sind die Bürger zum Zugreifen aufgefordert. Betreut werden die Anlagen von Langzeitarbeitslosen unter professioneller Anleitung.

Andernach - Essbare Stadt
Essbare Pflanzungen am Stadtgraben in Andernach (von Frank Vincentz – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link)

Selber ernten statt kaufen

Und wenn du jetzt selbst anpacken willst? Dann kannst du dich entweder den Initiativen anschließen, die in deiner Stadt möglicherweise schon vorhanden sind. Du kannst dich auch mit deinen Nachbarn zusammentun und euren Hinterhof aufmöbeln, falls er das hergibt. Du kannst dir einen Maurerbottich kaufen, auf den Balkon stellen und darin Sachen anpflanzen, die bis ins nächste Stockwerk wachsen. Du kannst mit Freundinnen einen Kleingarten mieten, wo ihr dann den Laden aufmischt und eure persönliche Oase schafft. Ernten statt kaufen. Und du hast auch nie wieder Langeweile. Höchstens im Winter.

 

Fotos: alisonhancock; Tobias Arhelger / stock.adobe.com

AJOURE´ Redaktion
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