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Kolumne: Ich glaube, ich bin verliebt…

Mein Herz schlägt schneller, meine Hände sind ganz feucht, mir wird heiß und kalt auf einmal, und ich habe ein Grinsen wie ein Honigkuchenpferd im Gesicht. Ich glaube, ich bin verliebt.

Aber wie kann das sein? Weit und breit ist kein Mann in Sicht. Ich stehe hier mit einer Freundin, also warum diese Gefühle? Es ist so einfach: Ich stehe in einem Geschäft voller Handtaschen und Schuhe und habe soeben meine Zukünftige entdeckt! Sie ist wunderschön und elegant, klassisch schwarz, mit kleinen goldenen Details, nicht aufdringlich oder billig, einfach nur hinreißend. Nein, günstig ist das Schätzchen wirklich nicht, sie kostet 300€. Mag sein, dass das nicht viel für eine tolle Handtasche ist, aber wenn man nur ein knappes Budget zur Verfügung hat und des Öfteren mal shoppen geht, dann sind 300€ einfach nicht drin.

Ich lebe alleine, habe also niemanden der sich die Miete mit mir teilt oder mir so ein schickes Teil einfach mal zum Geburtstag schenkt. Also tanze ich den „Soll-ich-sie-mir-kaufen-Tanz“. Ich lege mir das gute Stück über die Schulter und tänzele mit Schmetterlingen im Bauch zum nächsten Spiegel, betrachte mich von allen Seiten und stelle sie wieder zurück. Kaum habe ich sie ins Regal zurück gestellt, höre ich sie schon rufen: „Mia, nimm mich!“ Ich kann das arme Ding nicht im Regal stehen lassen und werfe sie mir abermals über die Schulter und stolziere wie Heidi Klum wieder zum Spiegel. Sie ist einfach wunderschön und zusammen geben wir ein traumhaftes Paar ab. Wieso können Dinge in uns solche Gefühle auslösen? Was läuft in unserem Hirn falsch, dass uns eine Handtasche so verdammt glücklich macht?

Es fühlt sich wirklich genauso an wie richtig verliebt zu sein. Können wir dieses Gefühl nicht irgendwie nutzen, wenn uns gerade niemand will oder wir einfach keine Zeit für eine Beziehung haben? Könnte unser Kleiderschrank nicht unsere Beziehung sein und das Shopping-Center echt guter Sex? Schwanger kann man auch nicht werden. Das wäre doch eigentlich echt ideal! Okay, außer Frau steht in der Umkleide und es passt mal wieder nichts. Auch ganz besonders toll finde dieses überaus schmeichelhafte Neonlicht, das jeden Frauenhintern aussehen lässt wie einen Golfball. Wenn das nicht schon Strafe genug ist! Nein, dann gibt es auch noch diese fantastischen Umkleiden, die nur aus Spiegeln bestehen, so dass frau das Elend auch ja von allen Seiten zu sehen bekommt. Solche Gegebenheiten können natürlich auch eine kleine Krise in der Beziehung auslösen, aber gut, die gibt es schließlich auch in den besten Familien.

Wenn da nur nicht dieser verflixte Kontostand wäre, der meinen Plan von einer Beziehung mit der süßen Kleinen kaputt macht. Er ist quasi wie die fiese Ex-Freundin; er ruft sich immer dann ins Gedächtnis, wenn man es eigentlich überhaupt nicht gebrauchen kann. Meine Freundin hat ungefähr die selben Gefühlsausbrüche in diesem Geschäft. Sie lebt aber im Gegensatz zu mir nicht monogam. Nein, sie ist eine kleine Taschen-Schlampe. Sie trägt an jedem Arm eine und hat schon die nächste auf dem Radar. Die Verkäuferin hat uns seit einiger Zeit im Visier; entweder wittert sie schon ein dickes Geschäft oder, was ich eher für wahrscheinlich halte, sie sieht uns an, dass wir zwar gerade beide unser Herz verloren haben, aber es uns nicht leisten können, es wieder zu bekommen. Meine Freundin schon zweimal nicht! Sie befindet sich mittlerweile in einem Rauschzustand und ich weiß nicht, wie viele Taschen sie an sich hängen hat. Sie ist geschmückt wie ein Christbaum, eben nur mit Taschen statt Kugeln… Oh man, was ein Spektakel! Wir unterhalten den ganzen Laden. Susanne und ich sind am kichern und herumalbern wie kleine Teenager und haben alle anderen Kunden und Verkäufer völlig ausgeblendet.

Ich mache noch schnell ein Abschiedsfoto von meiner neuen Fernbeziehung, damit ich sie mir ab und an mal anschauen kann, wenn ich einsam bin. Susanne legt nach und nach ihre Taschen auch wieder zurück ins Regal. Ich hätte nicht gedacht, dass es bei ihr die Trennung so einfach gehen würde. Ich habe mich eigentlich schon auf einen fiesen Kampf eingestellt – ich an der einen Seite der Tasche und sie an der anderen. Ein Geziehe und Gereiße bis die Tasche wieder an ihrem Platz steht. Doch die böse Schwiegermutter, in diesem Falle das Preisschild, hat sie doch vernünftig werden lassen.

Na ja, keine Beziehung ist perfekt! Ich werde also meine kleine süße Tasche dann und wann besuchen gehen und wenn es mein Geldbeutel irgendwann einmal zulässt, werde ich auch was Festes daraus machen – wir werden zusammenziehen, ganz sicher!

Foto: clipdealer.com

Mia Winter
Mia Winter
Mia Winter ist bekannt für ihre direkte und unverblümte Art, mit der sie die Themen Liebe und Erotik in ihrer Kolumne bei AJOURE´ angeht. Ihre Texte sind ein mutiges Eintauchen in die Tiefen menschlicher Intimität und Beziehungen, wobei sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Mit einer Mischung aus persönlichen Anekdoten und scharfsinnigen Beobachtungen schafft Mia es, ihre Leser zu fesseln und gleichzeitig zum Nachdenken anzuregen. Ihre Kolumnen sind für viele ein Leuchtturm der Ehrlichkeit in einem Meer von Klischees und Tabus.

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