StartLifestyleKolumneKolumne: Wo bist du und vor allem: Wo bin ich?

Kolumne: Wo bist du und vor allem: Wo bin ich?

„Du musst hier rechts abbiegen.“

„Sicher?“

„Ja, natürlich, bieg jetzt rechts ab, los… was machst du denn, wieso biegst du in die falsche Richtung ab?“

„Du hast doch gerade gesagt, wir müssen rechts!“

„Ach so, ja. Ich meinte natürlich links.“

Das kennen wir. Rechts und links kann man manchmal so schlecht voneinander unterscheiden wie die Olsen-Zwillinge. Und nicht nur dieses Problem der falschen Richtungsweisung wird uns Frauen zugeordnet, sondern die komplette fehlende Orientierung, die angeblich sämtliche Massenkarambolagen und Vermisstenanzeigen weltweit auf dem Gewissen hat.

Naja. Naja, naja, naja. Ich habe einen guten bis teilweise überragend ausgeprägten Orientierungssinn. Vor allem, wenn ich wirklich Angst habe, verloren zu gehen. Zum Beispiel auf Reisen: Wenn ich alleine unterwegs bin, finde ich immer zum Hotel zurück, weil ich Angst habe, in eine dunkle Gasse verschleppt und dann Organ für Organ in die Welt hinausgesandt zu werden. Dabei gebe ich natürlich zu, dass wenn ich in Begleitung bin, ich mich automatisch auf den anderen Menschen verlasse und somit meine Sensoren für den richtigen Weg ausschalte. Wozu zu zweit den roten Faden spinnen, reicht doch, wenn einer sich die ganzen Straßennamen merkt.

Allerdings ist es tendenziell schon der Fall, dass Frau Probleme mit der Orientierung hat. Ich glaube jedoch nicht, dass das an mangelndem Intellekt liegt, sich einen Weg einzuprägen. Eine Freundin von mir findet nie irgendwo hin. Egal wohin. Wenn wir uns verabreden, läuft es meist so ab, dass ich am Zielort sitze und warte und mein Handy betrachte, auf dem im Sekundentakt Hilferufe per SMS eintrudeln und ich verzweifelt versuche, ihr zu erklären, dass sie nicht gen Süden laufen soll, wenn Google Maps ihr den Norden weist.

Warum ist das so? Studien zufolge prägen sich Frauen optische Eindrücke ein, während Männer eher einen Blick fürs Räumliche und auch – aha – die Himmelsrichtungen haben. Daher ist es für Frauen definitiv schwieriger, sich an öffentlichen Plätzen zurechtzufinden.

Bei meiner Freundin und vielen anderen Frauen kommt meiner Meinung nach allerdings auch noch ein anderer Punkt hinzu: Der klassische Fall einer Panikattacke. Einmal im Leben den Weg nicht gefunden, dafür auf den Arm genommen und seitdem sofortiger Herzstillstand beim Thema „wie, was, wo… bin ich eigentlich?“ Schließlich kennen wir das alle, wenn man in Panik gerät und sogar kurz überlegen muss, ob 1×1 nun wirklich 1 oder nicht doch 2 ergibt. Ergo – nichts geht mehr.

Wo bin ich?

Räumliches Denken, orientieren, mit einem Kompass umgehen können, das hört sich alles nach seltsamem Geocaching an, was ein Phänomen ist, das ich ohnehin nie ganz verstehen werde, aber an sich sind das einfach Attribute, die dem logischen Denken zugeordnet sind. Und da uns Frauen immer und immer wieder aufs Neue versichert wird, dass das definitiv nicht zu einer unserer (vielen) Stärken gehört, machen sich einige von uns wohl schon im Vorfeld klein und geben auf, bevor sie die Haustür überhaupt verlassen haben. Das wiederum ist allerdings ein äußerst kluger Schachzug seitens der Damen, denn in geschlossenen Räumen haben sie mehr Orientierung als die Männer, dank ihrem Fokus auf die optischen Eindrücke.

Also lieber mal bei der nächsten Verabredung den Gastgeber spielen, sollte man einen selbstständigen Eindruck erwecken mögen und ausschließen können, sich nicht zwischen Küche und Badezimmer zu verlaufen.

 

Fotos: Anika Landsteiner privat

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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