Du kennst mich schon länger, als ich mich selbst kenne. Schon da hast du mich als deinen Schatz durch die Gegend getragen und allen von mir erzählt. Du kennst mich am besten. Weil du der Mensch bist, dem ich mich unverblümt, ohne Scheu und ohne verschleiernde Maske zeige. Ich bin ich, wenn ich bei dir bin. Und du bist du. Und man selbst zu sein, das ist das größte Geschenk.
Mehr als einmal habe ich dir immensen Kummer bereitet. Ich habe mich als Jugendliche so pubertär verhalten, als hätte ich mit aller Kraft ein Klischee erfüllen müssen. Ich habe alles gegeben, um zu überzeugen, und dabei nicht verstanden, warum mich jeder so schwierig fand. Du hast es auch nicht verstanden, aber du hast mich einfach immer machen lassen. Vielleicht ist gerade deswegen irgendwie was Anständiges aus mir geworden: Ich rauche nicht, ich trinke in Maßen, ich schütze Tiere und bin immer höflich Fremden gegenüber. Es sei denn, ich muss meine Meinung kundtun, aber auch das hast du mir beigebracht.
Während schlimmen Trennungen und anderen traurigen Ereignissen habe ich so lange geweint, bis du mitgeweint hast. Ehrlich gesagt hat das nie lange gedauert. Das Äpfelchen fällt nicht weit vom Stamm.
Trotzdem haben wir bis jetzt jeden Kummer überlebt. Und bei den meisten haben wir gemerkt, dass es gar nicht so schlimm war. Denn im Endeffekt kommt alles im Leben genau so, wie es kommen soll. Das predigst du mir bis heute, wenn ich wiedermal kein Land sehe und denke, die ganze Welt sei gegen mich. Dann leuchtet ein schwaches Licht am Ende des Tunnels und ich weiß, dass es stäker wird, weil es näher kommt.
Heute trägst du mich zwar nicht mehr durch die Gegend, aber du erzählst immer noch jedem stolz von mir. Und was aus mir geworden ist. Für dich bin ich die Größte, obwohl ich mich manchmal noch so klein fühle. Für dich mache ich das Größte, obwohl ich doch weiß, dass ich nur eine von vielen bin. Aber trotzdem ist es richtig so, dass du all das in mir siehst, was ich noch nicht sehe. Die Dinge, die nur manchmal durch den Türschlitz hindurchlugen.
Übermorgen wirst du 50 Jahre alt und wir beide wissen, dass die besten Jahre noch vor dir liegen. Weil du von Jahr zu Jahr mehr strahlst und die Menschen immer nur zu dir kommen, um sich einen liebgemeinten Rat und eine Umarmung abzuholen. Ich kenne niemanden, der so viele Blumen geschenkt bekommt wie du. Und sich jedes Mal genauso herzzerreisend freut wie beim ersten Blümchen.
Mütter und Töchter haben verständlicherweise eine Bindung, die stärker ist als vieles andere im Leben. Auch wenn sich manche im Laufe der Jahre entfremden, so bleibt immer etwas übrig. Die Bindung ist immer da. Wie sonst hättest du es geschafft, meinen 193. Liebeskummer-Anruf mit stoischer Ruhe zu bewältigen? Es wurde dir schon vor meiner Geburt wohl eine Extraportion Gelassenheit mitgegeben. Nur für den Fall, dass du eine Tochter bekommst. Und dann auch noch so eine wie mich.
Männer kommen, Männer gehen. Das habe ich mir bis vor einiger Zeit immer gesagt. Und im Stillen für dich gedankt. Mittlerweile hoffe ich zwar nicht mehr, dass da jemand wieder geht, aber für dich danke ich trotzdem immer noch. Auch dafür, dass du ohne Eifersucht oder Trauer immer wieder Platz für andere Menschen in meinem Leben machst. Ich weiß mittlerweile, dass das gar nicht selbstverständlich ist.
Und zum Schluss noch ein Geständnis, was dich sicherlich schmunzeln lässt: Ich werde dir immer ähnlicher. Wir Freundinnen geben das untereinander mit verstohlenen Blicken zu, aber unseren Müttern gegenüber ist das eine ganz andere Nummer.
Also, hier steht’s nun schwarz auf weiß, damit es jeder lesen kann.
Happy Birthday, Mamutschki! Wir fahren jetzt erst mal an den Tegernsee und legen einen Tag im SPA ein. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Foto: „Mother and Daughter“ von dr_tr (Flickr) via CC BY 2.0