Diese Kolumne richtet sich an die Frauen, die mich auf der Straße manchmal so böse angucken. Mich von oben bis unten scannen. Und an die, die wissen, was ich meine, weil es ihnen genauso geht.
Du gehst die Straße entlang. Du hast seit langem wieder mal genügend Zeit am Morgen gehabt und dir deswegen ein Outfit zusammengestellt, das dir so richtig gefällt. Du hast zu dem perfekt sitzenden Plisseerock, der deiner Figur schmeichelt, deine heiß geliebten Ankle Boots ausgepackt, vielleicht die einzigen Schuhe mit nennenswerten Absatz, in denen du nicht nur laufen, sondern dich richtig feminin bewegen kannst. Dein feiner Goldschmuck, den du viel zu selten anlegst, trägst du heute stolz. Du siehst dich in der Spiegelung der Fensterscheiben und nickst dir endlich mal wieder zufrieden zu. Ja, du fühlst dich wohl, vielleicht fühlst du dich sogar schön.
Und dann, genau in dem Moment, in dem du dieses Gefühl auskostest und dir selbst versprichst, dass du dir ab jetzt viel mehr Zeit für dich nimmst, für dein Inneres und Äußeres, in dem Moment, in dem du tief einatmest und der Sonne entgegen blinzelst, kommt dir eine andere Frau entgegen. Und sie mustert dich, von deinen Ankle Boots an über deinen schwingenden Plisseerock bis zu den goldenen Ohrringen. Und am liebsten würdest du sie nicht an dir vorbeiziehen lassen – übrigens scannt sie dich immer noch, selbst in diesem kleinen Moment, in dem ihr auf gleicher Höhe seid, ja, vielleicht dreht sie sich sogar nach dir um – sondern zur Rede stellen. Fragen: Was, verdammt noch mal, ist dein Problem?
Wer kennt das? Anyone? Liebe Frauen, nicht so schüchtern, wir alle haben schon Tage gehabt, an denen wir fabelhaft ausgesehen haben. Diese Tage, an denen man morgens in den Spiegel schaut und sich denkt: Huch? Habe ich etwa gut geschlafen und warum sind meine Wangen so rosig, ohne, dass ich mein Erste-Hilfe-Set aufgelegt habe? Yep. Und genauso hatten wir auch schon diese Tage, an denen uns eben diese Frau entgegenkam und wir sie von oben bis unten gemustert haben.
Aber warum? Können wir nicht gönnen?
Nur, weil jemand anderes einen guten Tag hat und zur richtigen Auswahl im Kleiderschrank gegriffen hat, heißt es nicht automatisch, dass wir das nicht ebenfalls tun können. Ich gehe noch weiter – wir können uns doch an der Inspiration bedienen, die da live und in Farbe entgegen stolziert? Ich für meinen Teil speichere ganz oft Streetstyle ab, den ich beobachte, wenn ich auf meinem Rad durch die Stadt fahre und über meinen Lenker blicke.
Aber es gibt eben auch diese Frauen, die immer missbilligend sind. Die dich immer von oben bis unten scannen, weil es ihr Hobby zu sein scheint. Angesichts dessen, dass sie es bei jeder Frau tun, nimmt diese Beschäftigung zeitliche Ausmaße an, die ich mir kaum vorstellen kann möchte. Bestes Beispiel: Du stehst in einer Bar und unterhältst dich mit zwei Leuten, eine von ihnen ist eine Frau, vielleicht eine, die du gar nicht besonders gut kennst. In dem Moment, in dem du dich dem anderen Gesprächspartner zuwendest, siehst du im Augenwinkel, wie sie dich mustert. Sie schenkt deinen rot lackierten Fußzehen genauso viel Aufmerksamkeit wie dem Wirbel auf deinem Kopf, den du einfach nicht in den Griff bekommst.
Ich versteh’s nicht. Wir alle, selbst, beziehungsweise vor allem Supermodels haben genügend Tage im Kalender angestrichen, an denen sie wie Gespenster die Straßen der Großstädte entlanggelaufen sind. Sich am liebsten versteckt hätten. Wir kennen alle diese Tage. Und genau dann können wir den Frauen, die in besserer Verfassung zu sein scheinen, freundlich zunicken und die Inspiration für uns abspeichern. Oder zumindest im Geiste zunicken. Schwestern im Geiste, Schwestern im Herzen – oder etwa nicht?
Foto: Anika Landsteiner