Wenn du kompetent für dich selbst sorgen willst, musst du lernen, für die eigenen Interessen einzustehen und ggf. auch mal laut zu werden.
In einem idealen Leben hätte ich immer einen Schwarm an Leuten um mich, die sich um meine Belange kümmern. Wenn mir jemand rücksichtslos die Vorfahrt nimmt, würde sich mein Assistent sofort das Kennzeichen notieren und Anzeige erstatten. Wenn ein Geschäftspartner behauptet, eine Zusage nie gemacht zu haben, würde meine Anwältin das Gesprächsprotokoll herausziehen und dem Typen zeigen, wo der Hammer hängt. Wenn der Wein im Lokal korkt, würde mein Ernährungsberater (und Teilzeit-Sommelier) den ganzen Laden aufmischen. Ob mieser Service der Post, unseriöse Angebote oder dumme Bemerkungen: Immer wäre jemand am Start, der dies in meinem Sinne bewältigte, während ich in einer Hängematte schaukelnd Cocktails schlürfte (solange der Ernährungsberater nicht zuguckt).
Nun ist mein Leben – wie deins vermutlich auch – aber sehr real und wenig ideal. Ich habe festgestellt, dass im Zweifelsfall niemand für meine Interessen eintritt. Muss auch niemand, denn ich bin volljährig und (meist) im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte. Bleibt die Frage, wie ich mit diesem Sachverhalt umgehe. Es gibt Menschen, vor allem weibliche, die sich in einem solchen Fall dezent zurückhalten. Sie finden es ordinär, übertrieben oder unter ihrem Niveau, bei Bedarf laut zu werden oder zur Not auch einmal mit der Faust auf den Tisch zu schlagen. Sie glauben, dass ihre Leistungen für sich sprechen und ausreichen sollten, ihre Interessen zu vertreten. Sie hoffen, dass ihr berechtigter Anspruch auch dann wahrgenommen wird, wenn sich niemand dafür stark macht.
Doch prompt kommt die Fehlermeldung: Das Projekt, die Wohnung, die Beförderung geht regelmäßig an eine Person, die nicht unbedingt besser in der Sache oder für die Sache ist, aber besser für sich selbst einstehen kann.
Paradoxerweise sind es aber auch gerade die Ladies, die zu Löwinnen werden können, wenn es um die Interessen eines Menschen geht, der ihnen am Herzen liegt: Falls nötig, bekommt das Kind die beste Nachhilfe, der Gatte die beste medizinische Versorgung, die Freund*innen die beste Protektion. Die persönlichen Interessen haben dagegen das Nachsehen. Wieso eigentlich? Sind deine eigenen Angelegenheiten zu unwichtig, um von irgendjemandem (dir!) vertreten zu werden? Bist du davon überzeugt, dass ein guter Mensch immer still und bescheiden in der Ecke stehen muss? Oder hältst du dich zurück, weil dir Erfolg und Anerkennung deiner Anliegen im Grunde zuwider sind? Vielleicht würdest du ja auch gerne, aber traust dich einfach nicht…
Ich weiß schon: Man hat es uns Mädels nicht unbedingt beigebracht, für uns selbst einzustehen. Das war bäh und falsch und gehörte sich nicht, punktum. Aber spätestens seit Entlarvung des Weihnachtsmanns haben wir doch schon geahnt, dass auch andere Dinge, die man uns erzählt, mit Vorsicht zu genießen sind. Also mach dir bewusst: Wenn du nicht für dich selbst in den Ring steigst, bleibt deine Ecke leer. Es kommt kein strahlender Champion gelaufen, um für dich zu kämpfen: weder Robin Hood noch Batman oder Brienne of Tarth. Es ist deine Entscheidung: Gehe stumm und damenhaft unter – oder überwinde dich, wenn es darauf ankommt, und mach den Mund auf! Ohne Hilfestellung von dir werden die Entscheidungsträger*innen nicht von selbst darauf kommen, weshalb sie sich ausgerechnet für dich entscheiden sollten. Ohne deine entschiedene Reklamation wird der Postbote deine Briefe weiterhin in den falschen Kasten werfen. Und ohne dass du sagst, wo es wehtut, kann deine Ärztin keine Diagnose stellen.
Was ist das Schlimmste, was passieren könnte, wenn du entschieden für deine Interessen einstehst und „den Mund aufmachst“?
- Man könnte deine Plomben sehen.
- Man könnte glauben, du hättest kein Benehmen.
- Man könnte dich trotzdem ignorieren.
- Niemand hätte dich mehr lieb.
Tja: Punkt 1 kann durchaus eintreffen. Gibt aber Schlimmeres. Bei Punkt 2 musst du selbst deine Prioritäten setzen: Ist dir gutes Benehmen wichtiger, als nicht übergangen zu werden? Punkt 3: Stimmt. Aber dann hast du es wenigstens versucht. Und Punkt 4: Quatsch! Wer dich dann nicht mehr liebhat, hatte es vorher auch nicht. Und kann dich sowieso gernhaben!
Also steig in den Ring! Wenn es dir schwerfällt, dann könntest du langsam einsteigen: mit kleinen Dingen beginnen, dann dich steigern. Wenn du nicht „laut“ werden magst, findest du vielleicht eine andere Methode, deine Interessen zu vertreten, die dir mehr liegt. Wenn es mündlich zu schwer wird, probier es schriftlich. Egal wie: Mach dich stark für deine Anliegen! Niemand sonst wird das im realen Leben für dich übernehmen. Sie sind es wert – und du bist es auch!
Über Martina Pahr:
Martina Pahr lebt und schreibt in München. Ab und zu steht sie auf Lesebühnen, und seit Neuestem werkelt sie mit Hingabe im Schrebergarten. Ihr Ratgeber „Sorg für dich selbst, sonst sorgt sich keiner!“ ist im Mai im mvg-Verlag erschienen.
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