Das Leben besteht aus Herausforderungen. Eigentlich, wenn wir mal ehrlich sind, geht es nur um Herausforderungen. Meine für heute? Eine Kolumne zu schreiben hoch oben über den Wolken. Meine Herausforderung vor sechs Wochen und zwei Tagen? Meinen Freund für genau diese Zeit zu verabschieden:
Ein Bilanz aus einem – so fühlt es sich an – Paralleluniversum.
Es ist schon wirklich seltsam. Ich sitze in einem riesigen Airbus und habe Internet. Dort, wo man keins bräuchte, aber mittlerweile trotzdem hat. Ich sitze in der letzten Reihe und habe zwei Plätze für mich alleine, weil das Flugzeug nur halb voll ist. Hinter mir das Klo, was ich unheimlich praktisch finde. Phänomenal finde ich außerdem, dass ich als Vegetarierin das Essen immer als Erste bekomme und somit vollgegessen und glücklich bin, während andere immer noch neidvoll zu mir herüberstarren. Da wir nun links und hinten geklärt hätten, fehlt noch rechts. Was ist dort? Ein Fenster. Das Fenster zum Atlantik, und weit und breit nichts anderes. Ich glaube, das nennt man Freiheit.
Jetzt bin ich also hier und ich bin überglücklich. Mein ganzer Körper kribbelt und diese Schmetterlinge im Bauch habe ich seit Monaten nicht mehr so gefühlt und wahrgenommen. In ein paar Stunden gehe ich durch einen Ausgang und werde von dem Menschen empfangen, dem es genauso geht. Und bei diesem unfassbar schönen Gefühl, in Kombination mit der unübertrefflichen Vorfreude, kann ich auf einmal dankbar sein für das schreckliche Wochenende, welches sechs Wochen zurückliegt:
Verabschiedung um sieben Uhr morgens. Tränenüberströmte Gesichter. Ein Kuss, ein letzter Satz. Die Tür fällt ins Schloss. Ich gehe zum Fenster und schaue hinunter auf die dunkle Straße. Er schaut nach oben. Winkt. Ich winke zurück. Er steigt ins Auto ein. Ich komme nicht mit an den Flughafen, das hatte ich schon ein Mal mitgemacht, das schaffe ich nicht nochmal. Mittlerweile habe ich mich kennengelernt. Ich weiß, was mir guttut und was eben nicht. Und deshalb schaue ich daraufhin drei Tage lang Gilmore Girls. So gut wie ohne Unterbrechung. Freitag, Samstag, Sonntag. Montag stehe ich auf.
„Ich könnte das nie.“ Diesen Satz hatte ich in den letzten Wochen öfter gehört. Gebracht hat er mir viel, denn ich habe festgestellt, dass ich viel stärker bin als manch anderer und dass ich mir das auch zugestehen darf. Die Wahrheit ist nämlich – und ich teile sie gerne mit euch – dass du alles schaffen kannst. Nur hast du Angst vor sich verändernden Umständen. Und deshalb stemmst du dich dagegen und dann wird es so unglaublich schwer. Lässt du dich aber darauf ein, kannst du es für dich gewinnen. Das ist meine Bilanz und die kann ich mittlerweile auf mein ganzes Leben beziehen.
Denn ja, ich sitze zwischen dem Abschiedsschmerz, an den ich mich immer noch sehr gut erinnern kann, und der Vorfreude, die mich überflutet. Geht es nicht darum, dass wir so viel fühlen, wie es geht zu fühlen? Dass wir die Höhen (eines Flugzeuges) vollkommen genießen können, wenn wir die Tiefen (einer Trauer) überwunden haben? Ich finde schon. Und ich habe nun das Geschenk bekommen, das sich so viele Paare wünschen: Nach Jahren in einer Beziehung auf einmal wieder das Gefühl zu haben, diesem Menschen wie beim ersten Date gegenüberzustehen.
Wie riechst du, wie küsst du, wie fühlst du dich an? Ich habe es ein bisschen vergessen. Aber ich kann es nicht erwarten, mich wieder zu erinnern.
Fotos: Anika Landsteiner