Da saßen wir auf dem Boden. In einer Wohnung mit frisch geweißelten Wänden, zwischen uns überall Teelichter. Schauten uns um und wunderten uns, wie in dieses kleine Apartment neben all den Möbeln auch die vielen Geschichten gepasst hatten. Und wurden dabei ganz sentimental.
Ich liebe Sentimentalität. Ich finde, das Leben besteht neben der Weisheit, immer im Moment zu leben, doch vor allem aus wichtigen Rückblicken, Nostalgie geschwängerten Momenten und einer damit verbundenen Sentimentalität, bei der kein Auge trocken bleibt.
Anlass meiner Hommage an die Vergangenheit ist die Landflucht meiner Freundin. Was sich früher Stadtflucht nannte und darin bestand, die Chancen großer Ballungszentren für jobtechnische Chancen und soziale Verknüpfungen für sich zu nutzen, hat sie nun umgekehrt durchgezogen. So, wie man das anscheinend macht, wenn man sich verliebt, einen Kompromiss eingeht und ja auch schon quasi fast erwachsen ist.
Sprich, man zieht zum Liebsten aufs Land und lässt zurück: Eine Single-Wohnung, vier Freundinnen und jede Menge Geschichten.
Und genau deswegen saß ich eine Nacht lang auf dem Boden und schaute mich in diesen vier Wänden um, stellte augenzwinkernd fest, dass ich überhaupt keine Vorstellung habe, wie man sein ganzes Leben in diese Mini-Stadtapartments pressen kann. Aber sie konnte, und uns alle hatte sie ebenfalls untergebracht: Vom Kaffeeklatsch über weinerliche Abende bis hin zum orientierungslosen Aufwachen war alles dabei.
Ich selbst bin innerhalb der mittlerweile acht Jahre, in denen ich nun schon in München verweile, drei Mal umgezogen. Natürlich schließt man jedes Mal mit der Wohnung ab, die man verlässt, auch mit den Menschen, die man mit ihr verbindet und somit mit den Anekdoten. Aber dieses Mal, als wir die Tür hinter uns zuzogen, war das ein bisschen anders. Vielleicht, weil man in manchen Fällen nicht nur die Schlüssel auf den Tisch legt, sondern im gleichen Atemzug eine ganze Ära zu Ende geht. Seufzen. Ja, sag ich doch, lang lebe die Sentimentalität.
Und natürlich spiegeln die vier Wände auch immer den Inhaber wider, egal, ob und wie wir das wollen oder nicht. Die erste eigene Wohnung besteht meist aus zusammengewürfelten Möbeln, ein Mix aus dem ehemaligen Jugendzimmer und Überbleibseln von Verwandten. Sprich, in den seltensten Fällen macht sie optisch was her. Was zeigt sie? Dass man a) noch nicht den eigenen Stil gefunden hat und b) sowieso über kein Geld verfügt, diesen zu präsentieren. Es geht weiter zur Nächsten und zur Übernächsten und irgendwann stellt man sie dann bei Airbnb rein und erkennt auf dem Bild, dass auf dem hübschen Läufer auf dem Esstisch ein noch hübscherer Blumenstrauß steht, die weißen Laken im Bett verdammt ordentlich aussehen und der Mitbewohner mittlerweile der eigene Mann ist.
Und vielleicht zieht man sogar aus dieser Wohnung mal aus, baut sich eventuell ein Häuschen, aber man ist trotzdem angekommen. Bei sich, letztendlich, darum geht’s ja.
Genau dafür war die Samstagnacht auch da. Alle, die dort auf dem Boden saßen, sahen auf einmal anders aus. Schöner, natürlich auch weiser und selbstverständlich tat uns nach dem Aufstehen alles weh. Denn eins ist sicher: Jünger werden wir nimmer. Deswegen habe ich auch zum gemeinsamen Gruppenfoto gebeten, denn hübscher werden wir leider auch nicht mehr.
Also standen wir da, in dieser leeren Wohnung, regten uns über das gestellte Foto auf, tranken darauf noch einen Schluck Bowle, so wie immer halt, und lachten ein bisschen lauter und hatten am Ende eine Bandbreite an Schnappschüssen.
So, wie das eben sein soll. Das war nämlich schon früher so und das wird auch in Zukunft immer so sein. In neuen Wohnungen. Die mit Sträußchen auf dem Tisch und Einkäufen vom Wochenmarkt.
Foto: Tim Lucas (flickr) via cc by sa-2.0