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Neuroathletik – So funktioniert die Fitness fürs Gehirn

Was ist eigentlich unter Neuroathletik zu verstehen?

Wenn du jetzt automatisch an „Gehirnjogging“ denkst, liegst du zwar nicht ganz richtig. Du liegst aber auch nicht gänzlich falsch. Doch es geht bei der Neuroathletik um etwas Spezielleres. Beim neuroathletischen Training geht es darum, den sportlich trainierten Körper um eine weitere Trainings-Komponente zu ergänzen: das Gehirn als die Steuerzentrale aller Bewegungsabläufe.

So gesehen soll das sportliche Training durch Neuroathletik-Erkenntnisse holistischer werden. Die Übungen für Sportler zielen nicht mehr nur auf die Muskulatur ab, sondern auch auf mehr bewusstes Handeln. Es geht um eine bewusstere Konzentration auf bestimmte Bewegungsabläufe, die trainiert wurden. Es geht auch um eindeutigere visuelle Informationen, die das Gehirn schneller auswerten kann. Wenn der Geist das Training torpediert, bringt es nicht so viel, wie es könnte. Wenn die Augen unterschiedliche Daten ans Hirn weitergeben, kann das Gehirn keine hinreichend präzisen Bewegungsabläufe koordinieren.

Das Gehirn als Trainingshelfer

Neuroathletik verbindet als Schnittstelle die Erkenntnisse der Neurowissenschaft mit hochmodernen Methoden des Athletiktrainings. Doch ohne weiteres kann das Gehirn nicht in dieser Richtung eingesetzt werden. Die Evolution hat das Gehirn darauf gepolt, die Aufgabe des Überlebens sicherzustellen. All seine Funktionen sind darauf ausgelegt. Die Betrachtungsweise dessen, was jemand gerade tut, fällt entsprechend anders aus, als wir uns das vorstellen.

Für das Gehirn ist es beispielsweise nicht relevant, ob ein Mensch läuft, weil er für eine Meisterschaft trainiert oder weil ein Löwe hinter ihm her ist. Das menschliche Gehirn will wissen, ob das Leben seines Besitzers in Gefahr ist. Ist diesbezüglich keine klare Antwort möglich, schaltet es sich automatisch in einen Modus, in dem es seine Schutz-Reflexe aktiviert. Hauptziel des Neuroathletik-Trainings muss es daher sein, diese reflexhaften Reaktionen zu unterbinden. Das gilt zumindest zeitweise und im vertretbaren Rahmen. Denn der Erhalt der Schutz-Reflexe macht in anderen Situationen als im sportlichen Training Sinn. Das Gehirn benötigt also eindeutig identifizierbare, neuronale Hinweise, wann trainiert wird und wann nicht.

Was haben Situationsanalyse und Motorik damit zu tun?

Wenn die Schutz-Reflexe beim Training plötzlich aktiviert werden, steigt dadurch die Verletzungsgefahr. Der Grund: Für die geschonten Körperbereiche müssen andere Körperbereiche plötzlich stärker belastet werden. Das Training leidet, weil es dann nur noch auf „Sparflamme“ ausgeführt werden kann. Ein kraftvolles und effektives Training ist neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge nur dann möglich, wenn das Gehirn bzw. das propriozeptive System besser ausgebildet wird. In diesem Kontext werden eine verbesserte Situationsanalyse und eine damit einhergehende Motorik-Verbesserung relevant.

Das neuroathletische Training ist besonders dann effektiv, wenn ein Sportler nach einer ausgeheilten Verletzung erneut mit dem Training beginnen möchte. Verheiltes Gewebe ist aber noch lange kein Garant für Trainingserfolge. Die Ursachen für die Verletzung lagen nämlich zum Teil im Gehirn und seinen schützenden Kompensationsmustern. Trainer, die mit neuroathletischen Strategien arbeiten, betrachten den Körper gewissermaßen als die Hardware des Sportlers. Das Gehirn stellt jedoch mit dem Bewegungsplan quasi die Software zur Verfügung – und die muss jeder Situation bedarfsgerecht angepasst werden.

Das bedeutet: das Gehirn muss nach einer Verletzung neu programmiert werden. Das geschieht oft in der Reha. Passiert das nicht, sind nachfolgende Verletzungen fast unvermeidlich. Das kennen die sportinteressierten Menschen vom Fußball. Wieder und wieder fallen Profifußballer aus, weil sie sich nach der Verletzungspause erneut an der Patella-Sehne oder am Knie verletzen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Viele Fußballspieler werden nach Verletzungspausen nur mit biomechanischen Methoden trainiert. Die Hardware ist damit zwar geheilt. Doch die neuroathletische Neuprogrammierung der Bewegungsabläufe – der körperlichen Software – fehlt oft.

Was geschieht beim Neuroathletik-Training?

Zu Beginn wird der Sportler zu seiner Verletzungsgeschichte befragt. Das ist wichtig, weil die Verletzungen oder Erkrankungen Auskunft über Elemente der Programm-Konzeption geben können. Dann werden sogenannte „Drills“ eingesetzt. Dabei handelt es sich um spezielle Übungen. Diese werden individuell an das Neuro-Profil des Athleten angepasst. Sie sprechen das System an, das alle Bewegungsabläufe im Gehirn steuert. Bei den Drills kann es sich um Gleichgewichts- oder Gelenkübungen, aber auch um gezielte Augenübungen handeln. Diese Übungen werden beim Aufwärmen eingebaut.

Wurde also bei der Anamnese eine koordinatorische Schwäche der linken Körperseite festgestellt, werden Drills in das Aufwärmtraining eingebaut, die eine Aktivierung des linken Kleinhirns zur Folge haben sollen. Dadurch soll die linke Körperseite stärker werden. Üblicherweise soll auf einen starken Reiz durch einen Drill ein schwächerer Reiz folgen. Die Abläufe der Drills werden exakt festgelegt, um den erwünschten Erfolg zu erzielen.

Sind bei einem Profi-Fußballer Mängel bei der Schnelligkeit festgestellt worden, werden im neuroathletischen Training nicht nur Sprintleistung oder schnelle Richtungswechsel trainiert. Vor allem die Wahrnehmung des Sportlers muss auf diese Leistungen hin optimiert werden. Der Laufreflex erfolgt bei Fußballern oft zu langsam, weil die Notwendigkeit zum Lossprinten zu spät erkannt wird. Schnell laufen zu können, muss also auch im Kopf trainiert werden.

Was bewirkt Neuroathletik beim Schuss auf das Tor?

Auch Torschüsse aus der Distanz können durch gezieltes Neuroathletiktraining verbessert werden. Das Gehirn eines Profi-Fußballers ist bei jedem Torschuss darauf angewiesen, exakte Daten über die Tordistanz, sowie die Stellung oder die Laufgeschwindigkeit anderer zu erhalten. Problematisch ist jedoch, dass beide Augen unabhängig voneinander Daten an das Gehirn übermitteln. Insofern muss das Fußballer-Gehirn in wenigen Augenblicken einen geschätzten Mittelwert aus den gelieferten Daten bilden. Die nun folgende Bewegung kann also oft nicht so exakt ausfallen, wie sie sein könnte.

Es geht bei der Neuroathletik also eher um den Prozess des Abschusses als um das Anvisieren des Ziels. Durch neuroathletische Übungen sollen die Spieler lernen, den ausgeführten Bewegungen mehr Aufmerksamkeit und Konzentration zu schenken. Wer sich auf den Prozess konzentriert, erzielt am Ende die besseren Ergebnisse. Das zumindest sagen die Spezialisten, die die Neuroathletik entwickelt haben. Aller Anfang ist jedoch schwer – und die bisherigen Ergebnisse lassen sich erst nach längerer Übungszeit verändern. Zunächst muss die neue Denk- und Arbeitsweise einem Sportler in Fleisch und Blut übergehen.

Funktioniert die Neuroathletik auch im Amateursport?

Heutzutage bauen bekannte Leichtathleten – ebenso wie viele Profi-Fußballer – Übungen aus der Neuroathletik in ihren Trainingsplan ein. Sprinterin Gina Lückenkemper hat ihre Bewegungen so optimiert, dass sie seitdem verletzungsfrei trainiert. Das war vorher nicht der Fall. Heute trainiert Lückenkemper nicht nur ihre Muskulatur, sondern auch ihr visuelles System oder ihre Nervenbahnen ganz gezielt. Denn nur über das Zusammenspiel aller beteiligten Instanzen kann sie das abrufen, was an Potenzial in ihr steckt.

Da der Weg zum Sportprofi in der Amateurliga beginnt, ist es auch schon auf dieser Ebene sinnvoll, die Erkenntnisse der Neuroathletik ins Training einzubauen. Was also können Amateursportler bereits tun, um bessere Sportler zu werden? Viele neuroathletische Übungen sind auch für Amateursportler sinnvoll. Wichtig ist beispielsweise, die schwächere Körperseite herauszufinden und diese gezielt zu trainieren. Dazu gehören beispielsweise die Mobilisation der schwächeren Hand oder Gleichgewichtstraining durch Kopfschütteln und Nicken.

Gezieltes Augentraining nach neuroathletischen Prinzipien sorgt dafür, dass die Bewegungssteuerung sich verbessert. Die Augenmuskeln von Sportlern werden kaum je trainiert, obwohl sie für die Informationsübermittlung zum Gehirn ein zentraler Bereich sind. Zudem gehören alle Bestandteile des Körpers zusammen. Sie bilden eine funktionelle Einheit, bei der jede Einheit besondere Aufgaben übernimmt. Sich dieser Aufgaben bewusster zu werden und die Fähigkeiten jedes Beitrags durch gezieltes Training zu erweitern – das ist Ziel des Neuroathletik-Trainings.

Auch beim Fitnesstraining kann die Neuroathletik einen wertvollen Beitrag leisten. Es geht eben nicht nur darum, die Motivation oder die Schnelligkeit zu steigern. Vielmehr geht es darum, dass alle körperlichen Instanzen ihren Beitrag gezielter und mit mehr Konzentration leisten können.

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Foto: Jacob Lund / stock.adobe.com; riva Verlag

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AJOURE´ Redaktion
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