Die Sache ist die: Ich mag das Siezen. Mit dem Siezen beim Menschen ist es ein bisschen wie bei den Hunden mit dem Beschnüffeln: Man schaut mal, ob man den anderen riechen kann. Und so lange beide die Distanz wahren, wird gesiezt, und zwar in bester, deutsch-förmlicher Manier.
Aus einer Höflichkeit heraus wurde das Siezen schon vor langer Zeit zum gesellschaftlichen Selbstverständnis: Wir kennen uns nicht, also siezen wir uns. Umso schöner ist ja dann der Moment, in dem man sich das Du anbietet. Um später dann immer wieder ins Sie zu verfallen, aus Versehen, alle lachen, und somit ist die Stimmung gelockert.
Ich kann mich noch gut an den ersten Tag in der Oberstufe am Gymnasium erinnern, als unser Lehrer vor uns stand und uns fachmännisch darauf hinwies, dass wir ab heute nicht mehr geduzt werden würden – es sei denn, wir wären damit nicht einverstanden. Ich war damit einverstanden, denn ich fand es großartig, endlich war ich erwachsen, wurde ernst genommen und – so fühlte es sich zumindest an – zum ersten Mal gesehen. Die ruhmreichen Zeiten sollten beginnen, zumindest für so lange, bis die nächste Stunde bei einem altbekannten, mürrischen Lehrer begann und er nur meinte: „Also, wenns für euch okay ist, dann sparen wir uns das mit dem Siezen“. Ein Höhenflug, der nur ein paar Stunden hatte andauern sollen.
Heute ist es so, dass ich die Tradition immer noch mag. Ich finde es super, bei ausländischen Filmen darauf zu achten, wann die Synchronisation die Hauptdarsteller vom „Sie“ ins „Du“ wechseln lässt. Gut, viele Möglichkeiten gibt es da meist nicht und spätestens nach der gemeinsamen Nacht switchen die beiden um, schauen sich am nächsten Morgen veträumt in die Augen und denken selbstverständlich zuallererst daran, sich ab jetzt zu duzen. Finde ich super.
Erst heute hat mich eine Frau, die ein paar Jahre älter war und mit Kind und Kegel unterwegs, mit Du angesprochen. Es ging hier nicht um einen Plausch unter Freundinnen, sondern um ein Gespräch im Arbeitsverhältnis. Obwohl ich sie höflich im Gegenzug gesiezt habe, schien ihr das nicht aufgefallen zu sein – oder ich wirke mit meinen 27 Jahren wie eine 16-Jährige? Ich meine zu behaupten: Nein.
Und genau das mag ich nicht, denn ich fühle mich dadurch erneut – wie damals, als ich wirklich 16 war – nicht ernst genommen. Denn ich weiß ganz genau, dass es vom Alter abhängt, nie würde die Gute nämlich einen Herren im Gandalf-Look duzen. Hätte sie viel zu viel Respekt vor.
Ich sieze nach wie vor, wenn ich Menschen nicht kenne. Es sei denn, es handelt sich um potenzielle Liebhaber oder Altersgenossen, die mir auf einer Party vorgestellt werden. Denn ich bin ein Traditionsmensch und mag klassische Abfolgen, an denen sich jeder entlanghangeln kann, wenn er unsicher ist.
Das Beste daran: Buchtitel wie der Bestseller »Ich bin eine Dame, Sie Arschloch!« Kann man reizender jemanden beleidigen? Ach was. Und wissen Sie was, meine lieben Leser? Die beiden, also die Dame und das Arschloch werden sich sicherlich zanken und danach im Bett landen. Und am nächsten Morgen? Ja, ganz genau.
Foto: Dino ahmad ali (flickr) via cc by sa-2.0
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