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Kolumne: Das El Dorado im alltäglichen Leben

Unzählige Male sind die Wörter unnahbar, selbstbewusst und insbesondere arrogant gefallen. „Ich dachte, du hasst mich!“, war eine von unzähligen Aussagen diverser Personen? Herzlichen Glückwunsch, denn dann gehörst du zu den wenigen Menschen im Kosmos, die nicht das Gefühl haben, sich mit jeder einzelnen Kreatur auf der Welt unterhalten zu müssen. Fern von Arroganz oder elitärem Denken, hat ein jeder von uns das Privileg, sich seine Mitmenschen weise und bedacht aussuchen zu dürfen. Schließlich sind wir wieder diejenigen, die sich nachts um drei von auserkorenen Mitmenschen wecken lassen, wenn einmal der Bedarf hierfür ansteht. Der Freund hat Schluss gemacht, die Oma ist tot oder die bevorstehende Prüfung wirft Angstzustände unermesslichen Maßes auf sie. Schon wird zum Hörer gegriffen, denn letztendlich haben die Perlen unseres sozialen Umfeldes so eine Art Vollmacht in unserem Leben. Wir möchten für sie da sein, weil wir sie lieben. Nennen wir es emotionale Vollmacht. Also warum sollten wir uns mit gescheiterten Existenzen, Energievampiren oder schlicht und einfach mit giftigen Menschen herumschlagen?

Der freundschaftliche Dauerauftrag soll schließlich nicht zur Last fallen. Daher entscheiden wir, wem wir die Pforten zu unserem Herz, Gehör oder zur Seele öffnen. Das ist auch gut so, denn nach dem Ende einer zwischenmenschlichen Beziehung im Rahmen einer Freundschaft, stellt man sich einige Fragen. Diese lauten: „Wie haben wir uns kennengelernt?“ „Was waren unsere freundschaftlichen Höhe- und Tiefpunkte?“ „Habe ich etwas Nützliches für mich aus dieser Begegnung gezogen?“ „War es inspirierend oder desillusionierend?“ All diese Fragen kann über kurz oder lang nur ein qualifizierter Mensch beantworten und sonst niemand. Dieser Mensch bist offensichtlich du. Du hast sämtliche Situationen mit deinen Mitstreitern erlebt und durftest im gleichen Moment in deinem Innersten beobachten, was diverse Situationen mit dir gemacht und in dir entfacht haben. Von hellstrahlend bis tiefschwarz ist alles vorhanden in deinem Erfahrungsrepertoire. Das Bewerten bzw. Verwerten dieser Breitbandpalette an Momenten, die zu späterem Zeitpunkt in Erinnerungen transformiert werden, ist ebenfalls deine Aufgabe. Es heißt ja, dass jede Begegnung mit einem Menschen uns etwas lehrt. Betrachtet man diese Weisheit aus verschiedenen Perspektiven, ist da auch durchaus etwas Wahres dran.

Denn eines Tages entscheiden wir uns, die Erziehungsmethoden unserer Eltern gänzlich abzulehnen. Wir lehnen uns gegen sie auf und sind überzeugt davon, dass wir es besser wissen und ihren Rat nicht mehr benötigen. Bereits mit der Pubertät beginnt unsere immense Hybris und nimmt überdimensionale Maße an. Stets weiter wachsend halten wir uns für allwissend, sind unbelehrbar und selbstverständlich unfehlbar. Wir machen keine Fehler! Doch genau das ist bereits der größte Irrtum in unserem Selbstbild. Die Annahme perfekt zu sein, kostet uns nicht nur Energie, sondern auch Kopf und Kragen. Warum nicht Fehler eingestehen? Einfach mal Entschuldigung sagen, scheint schwieriger als ein Crashkurs in Quantenphysik zu sein. Gesteuert von falschem Stolz und Überheblichkeit, wären wir nahezu in der Lage, eine erfolgreiche OP in der Neurochirurgie zu absolvieren, anstatt die simpelste aller Aussagen zu treffen. „Es tut mir leid.“ Ein Satz, der Berge versetzen und Kriege beenden könnte, aber wo denken wir hin? Unmöglich ist das! Seltsam, dabei handelt es sich doch hierbei um etwas total Elementares aus unserer Kindheit. Wie konnten wir etwas dermaßen Fundamentales und gleichermaßen Banales bloß vergessen? Logisch, denn die einfachsten Verhaltensmuster und gesellschaftlichen Umgangsformen werden abgelöst und verlieren an Bedeutung. Sie werden ersetzt mit Wünschen nach Ruhm, Reichtum, Karriere, Erfolg und einem lückenlosen Lebenslauf. Diese Substitution von positiven Grundcharaktereigenschaften mit gesellschaftlichen Errungenschaften entmenschlicht dich und ehe du dich versiehst, hast du dich in ein habgieriges Wesen verwandelt, das stets seinen materiellen Schatz vor Augen hat. Die Verwandlung erfolgt, auch wenn sie nicht ganz so spektakulär erscheinen mag, wie die Metamorphose einer Raupe zu einem Schmetterling. Die Transformation von sympathischem Hobbit zu dem eher fragwürdigen Gollum ist auch eine Veränderung deines Ichs. Nur keine Gute.

Ähnlich verhält es sich auch mit der brillant in Szene gesetzten Miranda Priestly in „Der Teufel trägt Prada“. Sie ist erfolgreich, gut gekleidet, selbstbewusst, zielstrebig, jedoch keineswegs sympathisch oder herzlich. Meryl Streep führt zur Schau, dass Kleider eben doch keine Leute machen, auch wenn es Instagram und diverse andere Medien so in Szene setzen möchten. Ein Fehlgriff in den Kleiderschrank lässt sich korrigieren, ein verkorkster Charakter hingegen nicht oder nur bedingt. Sie ist ein weiteres Beispiel der Menschen, die bereit sind, für ein hohes Ansehen innerhalb der Karriere über Leichen zu gehen und lässt sämtliche Emotionen sowie Manieren nicht ans Tageslicht. Das Resultat ist eine erfolgreiche Frau, die zwar finanzielle Unabhängigkeit erlangt und neu definiert hat, aber am Rande des emotionalen Ruins steht. Wieder einmal sieht man, dass Unbelehrbarkeit, dass Streben nach Perfektion und selbst attestierte Unfehlbarkeit zu einem bestimmten Pfad führen können. Zum Pfad der Einsamkeit.

Spätestens an diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr wir von Zeit zu Zeit ein freundschaftliches Feedback benötigen, um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben. Denn erst wenn wir nicht mehr gemocht werden und unsere Anwesenheit zur Zumutung für unser Umfeld wird, wachen wir auf und sehen, was unser Hochmut mithilfe des falschen Stolzes angerichtet hat. Verbannt ins Exil der Einsamkeit und isoliert von gemeinsamen Aktivitäten mit unseren Freunden, realisieren wir nun, dass unsere Hauptbeschäftigung nahezu ständig auf der negativen Seite des Lebens lag. Natürlich kann es Fluch und Segen zugleich sein, von nahezu jedem Menschen aus unserem Umfeld gemocht zu werden, doch ist es um einiges schlimmer, von niemandem gemocht zu werden. Spätestens hier sollte eine pädagogische Wirkung des Lebens in einer Gesellschaft ansetzen. Falls du dich bei der Frage: „Warum habe ich plötzlich niemanden um mich herum?“, erwischst, dann ist das der beste Zeitpunkt, an der wohl entscheidenden Lernaufgabe anzusetzen. Die Erkenntnis erfordert ein gewisses Maß an Ehrlichkeit mit und zu dir selbst. Genau aus Gründen dieser Art ist es umso wichtiger, dass wir uns vielleicht den einen oder anderen pädagogisch leicht angehauchten Rat unserer Freunde doch zu Herzen nehmen. Auch im Bereich Freundschaft ist es wie mit allen anderen Dingen des Lebens, du benötigst eine Balance, um nicht in Extreme zu kippen. Die goldene Mitte erscheint erneut als Maßstab der Dinge. Lässt du dich in allem belehren, wirkst du schnell schwach und es mangelt dir an Selbstbewusstsein, doch scheint es unmöglich, dir einen gut gemeinten Tipp zu geben, verwechselst du Hochmut und Arroganz mit einem gesunden Selbstbild. Es liegt oft nur ein schmaler Grat zwischen Arroganz und Selbstbewusstsein und auf dem gilt es, balancierend durch das Leben zu schreiten. Meist erkennt das soziale Umfeld Arroganz als eine Art Schutz vor Enttäuschungen, denn wer unnahbar wirkt, ist oft zart besaitet. Jedoch lässt das stolze Ego eine Aussage im Rahmen der Kritik keineswegs zu, denn Schwäche zeigen bedeutet nicht perfekt zu sein.

Die Frage, die sich zum Schluss stellt, lautet: „Was ist das Rezept zu gesunden Freundschaften und wie erlange ich besagte Balance im Leben?“

Der Schlüssel zum Erfolg in dieser Angelegenheit ist eine Kombination aus verschiedenen Punkten. Elementar ist, seinen eigenen Wert zwar zu erkennen, sich aber nicht zu ernst dabei zu nehmen. Dann käme hier noch eine kritische Betrachtung des Selbstbildes, ohne sich in jedem Aspekt zu kritisieren hinzu. Es ist zwar hin und wieder wichtig sich selbst unter die Lupe zu nehmen, allerdings grenzt eine Übertreibung dessen an Masochismus. Schließlich sezieren wir hier keinen Frosch im Biologieunterricht, sondern setzen uns mit unserem Charakter und Wesen auseinander, ohne es komplett zu zerstören. Zudem kommt hinzu, dass wir die Juroren in unserem Freundeskreis und deren Aufgabe der liebevollen Bewertung unserer Taten sowie Aussagen, nicht unterschätzen sollten. Wählen wir sie bedacht und greifen nach Gold statt nach Steinen, so befinden wir uns dank ihnen wahrlich im El Dorado des Lebens. Und letzte und besagte goldene Regel lautet, dass es durchaus in Ordnung ist, nicht perfekt zu sein und zu seinen Ecken und Kanten zu stehen. Sie sind es, die uns ausmachen und uns von der Masse abheben, denn wäre dem nicht so, wären wir nichts weiter, als Produkte einer Massenabfertigung. Und wonach strebst du mehr? Nach vermeintlicher Perfektion oder nach Individualität in deinem Sein?

Foto: Fox Deutschland

Umut Akcay
Umut Akcay
Umut, vom Bosporus ab ins idyllische Heidelberg, wo er sich dachte, er könne ja mal Germanistik studieren. Er kennt mehr Worte, als Langenscheidts komplette Enzyklopädie. Kaum jemand nimmt sich so oft selbst auf die Schippe und ist dabei gleichzeitig noch so zurückhaltend selbstkritisch.

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