StartLifestyleKolumneKolumne: Ich bin dann mal so frei!

Kolumne: Ich bin dann mal so frei!

Wenn man einer Freundin das neue Kleid vorführt und sie nach ihrer Meinung dazu bittet, sie sich ein bisschen windet und die Worte „Also, dir steht das!“ ihren Mund verlassen, dann heißt das meist eins: Es gefällt ihr nicht.
Warum fällt es manchen Frauen so schwer, ihren Freundinnen gegenüber in solch trivialen Angelegenheiten ehrlich zu sein?

Wenn ich meinem Exfreund früher erzählt habe, dass meine Freundinnen in einer gewissen Angelegenheit alle meiner Meinung seien, dann meinte er meist trocken, dass ihn das nicht wundern würde, schließlich würden die mir nur sagen, was ich hören wollte. Meist wurde ich daraufhin richtig wütend, denn ich war immer der Meinung, ehrliche Freundinnen um mich zu haben. Wozu brauchen wir auch Menschen, die uns nicht darauf hinweisen, dass wir in dem neuen Kleid aussehen, wie ein verwirrtes Modeopfer und uns nicht davor bewahren, mit überdimensionalem, allerdings deplatzierten Selbstbewusstsein durch den Sommer zu stolzieren?

Allerdings – und leider, leider, leider – habe ich schon oft beobachtet, wie es manchen Frauen wirklich schwer fällt, sich gegenseitig die gefühlte Wahrheit zu sagen. Ohne Schnörkel, Geplänkel und beschwichtigende Einleitung. Wenn beispielsweise eine Frau nach der Meinung fünf weiterer Frauen fragt und alle im Chor fröhlich übereinträllern, dann kann da was nicht stimmen. Fünf Frauen die gleiche Meinung? Das wäre ja fast schon irgendwie tragisch.

Wahre Freundschaft beginnt da, wo bequeme Gespräche aufhören.

Versteht mich nicht falsch, es geht nichts über einen ausgelassenen Abend und feierfreudiger Zustimmung über sämtliche Themen von A wie Asti Cinzano bis Z wie Zara, aber was bringt uns das, wenn wir uns am Ende des Tages fragen, ob wir wirklich immer eine ehrliche Aussage von ihnen bekommen?

Einige Frauen haben ganz einfach die Gratwanderung nicht raus, die Wahrheit zu sagen, sie allerdings schön und vor allem respektvoll zu verpacken. Und weil aber deswegen Lügen noch lange keine Option ist, reden wir lieber um den Brei herum und drehen uns manche Aussage so hin, dass darin ein Kompliment liegt, eben wie „Für mich wäre es nichts, aber du kannst es tragen.“ (Nicht.)

Manchmal gibt es so sensible Themen, dass es verdammt schwer fällt, den Platz der Spielverderberin einzunehmen.
Daher zum Abschluss ein Beispiel aus der Praxis: Eine Freundin erzählte mir am Wochenende, dass sie einen One-Night-Stand hatte und es nach der schönen Nacht sehr enttäuschend fand, nicht nach ihrer Nummer gefragt zu werden. Während alle Frauen sie in ihrer Entrüstung bestätigten, sagte ich ihr nett und ohne über ihre Handlung zu urteilen:

Meine Liebe, ein One-Night-Stand ist nicht unbedingt die Aktion, die am Ende eine Nummer einbringt. Da wärst du mal besser zu dir nach Hause gegangen.“ Meine Meinung.

Das Schöne an der Wahrheit ist ja, dass es nicht nur eine gibt und man aus der Fülle von ehrlichen Statements sich dann schließlich sein eigenes bilden kann, mit dem es sich leben lässt.

Foto: Screenshot Sex and the City

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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