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Kolumne: Be nice, baby!

Gestern stand ich in der Sonne vor einem Waschsalon in Brooklyn und habe mein Essen vom chinesischen Take-Out-Service nebenan verschlungen. Innerhalb dieser 10 Minuten, in denen ich dastand und aß, haben mich drei Leute gegrüßt, zwei Passanten strahlend „enjoy your food“ verkündet und eine afrikanische Mutti mir lachend zugerufen: „Can I have some?“ So was habe ich in Deutschland noch nie erlebt.

Ich will nicht gegen Deutschland wettern, schon gar nicht auf Reisen, wo man immer merkt, dass es Zuhause irgendwie am Schönsten ist. Gerade in unserem kleinen Land, wo der Lebensstandard so hoch ist und wir zu den wichtigsten und reichsten Ländern der Welt gehören, merke ich oft, dass ich mich so glücklich schätzen kann, hier geboren worden zu sein.

Aber wir Deutschen haben – pauschal betrachtet – so einige negative Attribute an uns, die vielleicht der Einzelne an sich nicht erkennen mag, in der Gruppe werden sie jedoch immer deutlich sichtbar. Wir sind oftmals gehetzt und fühlen uns getrieben. Wir jammern auf einem viel zu hohen Niveau. Wir sind schnell gereizt, gestresst und daraus resultierend schlecht drauf.

Hand aufs Herz, die Herzlichkeit von gestern, die begegnet mir nur im Ausland. Da stehe ich im Hinterland von Brooklyn und mampfe mein Essen in mich hinein, blende die Welt währenddessen kurzzeitig aus und kriege um mich herum strahlende Blicke, freundliche Gesten und höfliches Nicken geschenkt. Das ist mir in Deutschland wirklich noch nie passiert. Ehrlich gesagt erfahre ich meist das Gegenteil, beispielsweise schaut man sich in den Großstädten kaum in die Augen, sondern blickt eher auf den Boden. Man grüßt sich nicht wahllos auf der Straße, sondern nur diejenigen, die man kennt. Und man wünscht schon gar nicht Dinge wie „hab einen wundervollen Tag“, ein Ausruf, den ich hier fast stündlich um die Ohren geschmettert bekomme.

Hach. Alle Länder dieser Erde haben ihre Macken. Vor allem die USA, das Land, in dem ich gerade verweile. Und trotzdem ziehe ich aus jedem Aufenthalt etwas Positives, was ich am liebsten schön verpacken und mit nach Hause nehmen würde, um es dort erneut zu öffnen und unter den Leuten zu verteilen. Die Höflichkeit der Amerikaner. Die Gelassenheit der Kolumbianer. Die Fröhlichkeit der Inder.

Allen voran wünsche ich uns in Deutschland aber einfach mehr Offenheit und Höflichkeit Fremden gegenüber. Denn nur, weil ich jemanden nicht kenne, muss ich ihm nicht automatisch skeptisch begegnen. Das hat der Amerikaner am Wochenende bewiesen, der mit den Worten „ach, es ist doch Ostern!“ mir eine U-Bahnfahrt spendiert hat.

Und wenn ich jemanden sehe, der sich nach dem Weg umschaut oder eine Karte studiert, dann kann ich ihn ansprechen und meine Hilfe anbieten. Wie beispielsweise neulich, als ich mich mit jemandem über einen Stadtteil unterhielt und herausfinden wollte, wo ich dort hinkommen könnte. Da sprach mich doch glatt ein New Yorker an, mit den Worten: „Schau mal, ich war dort selbst noch nicht, aber ich habe es mal bei der Metro-Seite eingegeben und hier siehst du, wie du dort hinkommst.“ Ich war wirklich baff und konnte diese unglaubliche Aufmerksamkeit kaum fassen.

Lasst uns von anderen Kulturen öfter mal eine kleine Scheibe abschneiden. Die machen das übrigens auch, nicht umsonst höre ich so oft, was für ein tolles Reisevölkchen die Deutschen doch sind und wie sehr man ihre Arbeit und Disziplin schätzt. Ha!

Foto: Deniz Ispaylar

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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