StartLifestyleKolumneKolumne: Die kleinen give-aways der großen Liebe

Kolumne: Die kleinen give-aways der großen Liebe

Am Wochenende war ich bei Ammas diesjähriger Welttournee. Amma, was übersetzt „Mutter“ bedeutet, ist eine indische Frau, die sich von Kindesbeinen an dem Helfen und Unterstützen armer und hilfsbedürftiger Menschen verschrieb. Ihre Organisation embracing the world ist weltweit anerkannt und wird mittlerweile von einer unzähligen Anhängerschaft gefeiert. Was für sie und ihre Veranstaltungen typisch ist, ist der Darshan, zu deutsch „Umarmung“. Jährlich sind es Millionen von Menschen, die sie umarmt, um Sorgen abzunehmen und Glück zu geben. Dabei sitzt sie stundenlang, sie steht nicht auf, um zu essen oder zur Toilette zu gehen. Sie sitzt und umarmt – tausende von Menschen täglich. Sie wahrt keine Distanz, sondern schafft Brücken und das ganz ohne eine einzige Sache: Sich selbst etwas vom Kuchen zu nehmen.

Sie gibt. Ihr Leben lang. Angefangen damit, dass sie selbst als eine der ärmsten Menschen dieser Welt großgeworden ist und heimlich Kleidung aus ihrem Elternhaus an noch Ärmere verschenkte. Können wir westlichen Internetkinder, die wir tagaus tagein mit unseren Ego-Problemchen beschäftigt sind, so ein Leben ansatzweise nachvollziehen? Ich sage klar „nein“ und wer „ja“ sagt, der lügt.

Geben, obwohl ich selbst nichts habe? Ja, genau! Allein schon in Beziehungen sehe ich tagtäglich kleine Konkurrenzkämpfe und Geschenke, die an Erwartungen gebunden sind. Manche Menschen machen beispielsweise das „Ich-liebe-Dich“-Spiel zu einer regelrechten Gegenwartspolitik der emotionalen Bindungen. Wer sagt es als Erster? Wenn ich es sage, sagst du es dann aber bitte auch? Du hast es gestern nicht gesagt, dann wird es heute sicherlich nicht über meine Lippen kommen.

Ich übertreibe. Wer meinen Schreibstil kennt, weiß allerdings, was ich damit sagen möchte. Diese und andere Gedanken haben sich über die Jahre in all unsere hübschen Köpfchen geschlichen und nach und nach eingemeißelt.

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Geben ohne Nehmen kann zwischen Freunden oder vielleicht in einzelnen Situationen des Alltags einfach sein. Erst letzte Woche hat mich eine verwirrte, ältere Dame auf dem Viktualienmarkt angesprochen und nach dem Weg gefragt. Ich habe ihn ihr nicht nur gerne erklärt, sondern auch noch kurz mit ihr geplaudert, weil ich das Gefühl hatte, sie würde kurz mit jemandem reden wollen. Danach ging ich mit einem schönen Gefühl meines Weges.

Aber wie sieht es in Partnerschaften aus? Bei der Frage „Kann ich wirklich geben, ohne auch etwas dafür bekommen zu wollen?“ sollte sich niemand ausnehmen – sei die Beziehung noch so harmonisch oder funktionierend.

Vor ein paar Tagen habe ich in einem Vortrag folgenden Satz gehört: „Liebe fängt erst da an, wo Brauchen aufhört. Alles andere ist ein Abhängigkeitsverhältnis. Was keineswegs zu verurteilen ist, aber es ist eben nicht Liebe.“ Radikal? Ja. Aber ehrlich. Und wahr. Da Liebe ist, ist sie an nichts gebunden. Nicht, dass ich das selbst könnte. Aber die, die regelmäßig geben, wissen eigentlich am besten, dass dadurch am häufigsten etwas zurückkommt. Ohne Erwartungen gibt es die schönsten Überraschungen – anstatt Enttäuschungen, Trauer, Wut, Neid und die endlose Liste der Ersten-Welt-Probleme.

Sicherlich ist es schwer, so eine Einstellung umzusetzen. Ich persönlich kenne aber so einige, die nicht weit davon entfernt sind, und eins kann ich mit Sicherheit sagen: Sie sind glücklich bis in die kleinste Pore, weil sie fernab von den Attributen von oben sind. Also.

Sind wir es uns nicht selbst ein bisschen schuldig, manche Dinge, die an unserer Bequemlichkeit kitzeln, anzugehen und umzusetzen?

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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