Wenn ich an einer Baustelle vorbeilaufe, dann schaue ich meist schon von vorneherein sehr grimmig. Das ist ein automatisierter Abwehrmechanismus für alle Männer, die nur darauf warten, mit ihrer Arbeit innezuhalten und uns Frauen hinterher zu pfeifen. Einmal bin ich stehen geblieben und habe ein verzweifeltes „Warum“ gerufen. Wirklich weitergeholfen hat mir das aber ehrlich gesagt nicht.
Man braucht es nicht groß und ausschweifend zu erklären, dieses – nennen wir es mal, wie es in der Umgangssprache geschimpft wird – „Bauarbeiterphänomen“. In 90 Prozent aller Fälle, in denen eine Frau an einer Baustelle vorbeiläuft, wird die Palette vom Glotzen, Zuzwinkern und Deuten bis hin zum Pfeifen und Hinterherrufen ausgepackt. An sich ist das nicht schlimm und bevor nun alle Männer anfangen mit „ach, das ist doch ein Kompliment, jetzt tu’ nicht so, als würde dich das nerven“, nehme ich das mal vorweg und sage: Ja, es ist ein Kompliment und nein, es ist nicht schlimm. Aber. Und auf dieses Aber kann ich nicht verzichten:
Ich mag es nicht, mitten auf der Straße in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Ich mag es nicht, weil ich mich in dem Moment unwohl fühle und mich andere Passanten angrinsen oder gar argwöhnisch betrachten, weil mir und nicht ihnen hinterhergepfiffen wurde. Ach herrje, die Probleme der ersten Welt.
So oder so, es ist einfach eine sehr plakative Art und Weise, die nicht Jedermanns Sache ist. Ich bin Jedermann. Beziehungsweise Frau.
Das, was mich aber in dieser Angelegenheit am meisten beschäftigt ist, dass nie und absolut nichts dahintersteckt. Ist aus so einer Anmache jemals auch nur etwas entstanden, das über die einseitige Offensive hinausgeht? Ich denke nicht, aber belehrt mich gerne eines Besseren.
Es scheint fast so, als sei das Zurschaustellen der männlichen Fähigkeiten und die Flirtversuche gegenüber weiblichen Passanten ein eigener Absatz im Arbeitsvertrag eines jeden Bauarbeiters. Quasi eine Voraussetzung zur Qualifizierung für den Job. Und eben weil sich das in meinen Beobachtungen wieder extrem häuft und ich mittlerweile festgestellt habe, dass es überhaupt nicht um die Frau geht, sondern dass aus 10 Fällen neun Frauen Opfer der Anmache werden (unabhängig von Aussehen und Auftreten), bin ich neulich stehen geblieben und habe den vorlauten Herrn gefragt, warum er das denn machen würde. Dass er mein Vater sein könnte, habe ich mal für mich behalten. Er meinte dann, ich solle nicht so zickig sein. Da bin ich fast aus den Latschen gekippt. Anscheinend hat man nicht einmal das Recht darauf, denjenigen anzusprechen und für seine Flirtoffensive zur Rede zu stellen. Da wird der Mann zur Maus.
Und genau das ist die Sache: Je größer die Klappe, desto weniger nichts ist bei Männern dahinter. Die sind teilweise glücklich verheiratet mit zwei kleinen Kindern inklusive Hund, Katze und Doppelhaushälfte. Hinterherrufen tun sie dir trotzdem. Gehst du drauf ein, hört der Spaß allerdings auf.
Übrigens findet man im Tierreich ein interessantes Beispiel zu dem Dilemma:
Das Männchen einer Heuschreckenart sitzt unter einem Blatt, lockt das Weibchen mit seinen für das Tierreich angepassten Lockrufe an, schnappt es sich, sobald es in greifbarer Nähe ist, und geht zur Fortpflanzung über. Na da. Anscheinend wird dort gehalten, was man verspricht.
Nicht, dass jede Frau nach einem ordentlichen Pfiff den Ring an den Finger gesteckt bekommen und ins Bett gezerrt werden möchte. Aber wir möchten auch nicht als herumlaufendes Frischfleisch behandelt werden. Damit entpuppt sich der Pfiff aus dem Gulli als waschechter Griff ins Klo.
Ich kann nicht sagen, ob Frauen eher halten, was sie im Voraus ankündigen. Allerdings habe ich noch keine gesehen, die auf offener Straße einem Mann hinterhergepfiffen hat, um sich dann ganz schnell hinter der großen Geste klein zu machen.
Wer hätte gedacht, dass man von einer Heuschrecke noch was lernen kann.
Foto: Anika Landsteiner