Als ich neulich meine Freundin Vanessa traf, kriegte sie sich kaum mehr ein vor Freude: Hat sie doch tatsächlich diesen tollen Prachtkerl kennengelernt. Eifrig erzählte sie, wie sie Marc bei der Geburtstagsparty traf, wie sie sich auf Anhieb sofort blendend verstanden. In den nächsten Tagen folgten erste Dates – eins besser als das andere. Marc war witzig, zuvorkommend und schenkte ihr so viel Aufmerksamkeit, dass es ihrer Meinung nach nicht mehr an viel fehlte, um ihn ganz offiziell als neuen Freund vorzustellen.
Dann heute morgen der enttäuschte Ton: „Er will keine feste Beziehung.“ Sie verstehe die Welt nicht mehr, es hat doch alles so schön angefangen. Er habe sich so oft gemeldet, wollte immer Zeit mit ihr verbringen. „Wieso hat er sich so angestrengt, wenn er doch nichts festes will?“
„Es liegt nicht an dir, es liegt an mir.“
Nun ja, meine liebe Vanessa…Dein Beispiel erinnert mich an die ach so vielen Fälle um mich herum, in denen sich Prince Charming nach und nach zu einen der vielen Frösche entwickelt hat. Hat er sich anfangs noch Mühe gegeben, seiner Liebsten Bilder einer rosigen Zukunft vorgemalt und ihr seine ganze Aufmerksamkeit geschenkt, so zieht er sich – je ernster es wurde – jeden Tag ein Stück weit zurück. Vanessa wusste nicht, warum er sich auf einmal viel weniger meldete, keine Zeit mehr für sie hatte und von seiner anfänglichen Entschlossenheit nichts mehr übrig geblieben ist. Ich konnte mir schon vorstellen, was er ihr sagte – wortwörtlich.
- „Du bist eine tolle Frau, aber ich bin noch nicht bereit für eine feste Beziehung.“
- „Es liegt nicht an dir, es liegt an mir.“
- „Mir geht das alles zu schnell, wieso können wir es nicht lassen, so wie es ist?“
So oder so ähnlich dürfte er es gesagt haben, in solchen Situationen mangelt es öfters an Einfallsreichtum, daher greift man gerne auf Standardsätze zurück, die haben sich in der Vergangenheit schließlich bewährt. Vanessa ist sicherlich nicht die erste Frau, die dieses Hickhack mitmachen muss. Und alle fragen sie sich: „Was habe ich falsch gemacht? Wieso distanziert er sich?“ Ich kenne meine Freundin gut. Sie ist die Art Frau, die mit der Zeit etwas gefühlsduselig wird. Läuft alles super, dann zeigt sie das auch, sprich: Sie fängt an, sich von ihm abhängig zu machen. Sie gibt ihm ihre Aufmerksamkeit, richtet ihren Zeitplan nach ihm, macht seinetwegen viele Kompromisse – und das nicht, weil sie verzweifelt auf der Suche nach einem neuen Partner ist. Sie will gefallen! Sie sagt ihm, wie toll er ist, wie schön es ist bei ihm zu sein, meldet sich ständig bei ihm und versucht, so viel Zeit wie möglich mit ihm zu verbringen. Das hat er sich ja auch verdient, nach all der Anstrengung am Anfang. Der typische Gedanke hierbei ist (grob gesagt): „Wenn ich alles für ihn tue, wird er merken, was er an mir hat.“
Und das tut er auch. Er nimmt die Aufopferung allerdings nicht als Gefallen an sondern lediglich als Anhänglichkeit. In seinen Augen hat sie sich verändert: Die lustige, lockere Frau, die ihn anfangs mit Sträke, Selbstständigkeit und Unabhängigkeit beeindruckt hat, ist zur Klette mutiert. Ohje. „Wieso bin ich nur so toll, großartig und gutaussehend, dass sich alle gleich verlieben müssen“, denkt er sich nun. Aber mal im Ernst: Gedanken, die ihm durch den Kopf schießen müssen, sind:
- „Oh mein Gott, sie braucht mich. Ich bin ihr Lebensmittelpunkt geworden.“
oder
- „Sie erwartet jetzt so viel. Wenn ich ihre Erwartungen nicht erfülle, verletze ich sie.“
Und verletzen will er sie nicht, denn eine heulende Frau ist das Schlimmste, was sich ein Mann vorstellen kann. Mann weiß dann weder, was er sagen nocht tun muss, um sie zu beruhigen. Dann lieber jetzt schon mal einen Gang zurückdrehen und ihr irgendwie deutlich machen, dass er noch nicht bereit ist, für ihr Wohlergehen Verantwortung zu übernehmen. Das will er nämlich tatsächlich (noch) nicht. Er will die Zeit mit ihr genießen, ohne unter Erwartungsdruck zu stehen. Ein Mann will erwünscht sein, nicht verzweifelt gebraucht werden. Und dass Vanessa auf einmal immer mehr Zeit und Kraft investiert hat, gab Marc genau dieses Gefühl: Sie erwartet etwas zurück. Und zwar was Großes. Und dann kommen sie: Die Bindungsängste.
Wieso Unabhängigkeit so sexy macht
Ein Mann fühlt sich dann wohl bei einer Frau, wenn er das Gefühl hat, sich bei ihr fallen lassen zu können, sich nicht für sie verstellen zu müssen. Und das kann er nur bei einer starken Frau, die nicht abhängig von ihm ist, die auch ohne ihn unbeschwert ihr eigenes Leben führen kann und Spaß dran hat. Bei einer solchen Frau braucht er keine Angst zu haben, alleinige Verantwortung zu übernehmen, schließlich kümmert sie sich selbst um ihr Glück und lastet ihm diese Aufgabe nicht auf. Und bei einer solchen Frau wird er auch nicht müde, ihr weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken, denn er weiß, dass sie ganz schnell weg sein kann, wenn er sich nicht um sie bemüht. Für jemanden, der immer auf Abruf bereit ist und zu viele Kompromisse macht, muss er sich dagegen nicht anstrengen.
Ich riet Vanessa daraufhin, einfach mal drüber nachzudenken, wie sie drauf war, als sie ihren Marc kennenlernte. Also lehnte sie sich etwas zurück, kümmerte sich mehr um sich selbst und weniger um ihn, steigerte sich nicht mehr weiter in die Beziehung zu ihm hinein – was natürlich einfacher gesagt ist als getan. Dennoch kann ich das nur jeder Frau ans Herz legen: Das eigene Glück sollte nie die eigenen Hände verlassen, wieso sich von einer Sache (bzw. einem Mann) abhängig machen, wenn es um einen herum so viele andere Dinge gibt, die den Alltag verschönern und das Leben versüßen? In den folgenden Tagen meldete sich Vanessa nicht bei ihm, gab ihm zu verstehen, dass auch sie nichts überstürzen möchte. Sie versuchte, wieder die unbeschwerte, unabhängige Frau zu sein, die sie anfangs war, ohne sich über ihn und sein Verhalten verrückt zu machen. Das wäre ja auch viel zu stressig, zu versuchen, die männlichen Macken mit weiblicher Intuition nachzuvollziehen.
Hat das was verändert? Und wie es das tat. Auf einmal hatte sie das Ruder wieder in der Hand. Mehr dazu aber nächstes Mal, wenn wir versuchen zu verstehen, wieso Männer um eine Frau kämpfen wollen.
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