An einem ganz normalen Freitagnachmittag treffen wir Jorge González in einem fast ganz normalen Outfit. Es ist schon merkwürdig, wie wir unsere Mitmenschen in Vorurteilsschubladen stecken, wenn wir sehen, dass sich jemand anders kleidet oder einfach für uns anders wirkt. Ich muss zugeben, dass ich vor meinem Interview mit Jorge auch ein bestimmtes Bild vor Augen hatte, aber dann unglaublich begeistert war, welch intelligenter und toller Mensch vor mir sitzt. Das Gespräch war vertraut, faszinierend und unglaublich amüsant, da Jorge seine ganz eigene Sprache hat und er es trotzdem schafft, sich gewählt und sympathisch mitzuteilen. Seine Ansichten zur Modewelt und alles, was sich in der medialen Welt so abspielt, sollte meines Erachtens ein Leitfaden für alle sein.
Wir waren beide zur Präsentation von Opels neuem GRANDLAND X in Frankfurt, um uns einen Eindruck zu machen, was der neue SUV so alles kann. Am Ende des Tages war jedoch mein Highlight das Gespräch mit Jorge.
Ajouré: Wir sind heute in Frankfurt im Rahmen der neuen Präsentation von Opel und deshalb natürlich die Anfangsfrage von uns: Welchen Bezug hast du zur Marke Opel?
Jorge: Wir kooperieren mit Opel schon sehr lange. Angefangen haben wir mit dem Opel Insignia, den ich sehr interessant fand, obwohl ich ein Mensch bin, der ein Auto nur für die reine Mobilität benutzt. Ich habe mich nie besonders gut ausgekannt, was PS und all dies angeht. Anders als all die Menschen, die sich in dieser Materie gut auskennen. Aber seitdem Opel die Autos in der letzten Zeit so schön modernisiert hat, habe auch ich angefangen, mich damit zu beschäftigen. Immerhin ist es die Marke des deutschen Volkes. Zumindest sagen das immer so viele. Mir gefällt der neue Style von Opel sehr. Sowohl von außen, als auch das Interieur. Vor allem sind sie sehr geräumig und sportlich geworden, gepaart mit einem coolen Look. Opel sieht für mich nicht mehr aus wie ein „Opa-Auto“ – so wie früher einige Baureihen.
Ajouré: Ist dein Fahrstil genauso temperamentvoll wie deine Persönlichkeit?
Jorge: Nein, auf keinen Fall. Ich bin sehr temperamentvoll und voller Lebensfreude, aber was das Autofahren angeht, bin ich ein sehr vorsichtiger Mensch. Generell bin ich sehr familiär und freue mich immer, zu Hause zu sein. Ich bin durch meinen Job sehr viel unterwegs und dies oftmals mit dem Auto, und ich kann von mir behaupten, dass ich immer sehr vorsichtig und rücksichtsvoll fahre.
Ajouré: Nun mal weg vom Auto. Du hast ursprünglich Nuklearökologie studiert. Wie ist dir denn der Sprung in die Welt der Mode und ins Fernsehen gelungen? War das so geplant?
Jorge: Nein, im Gegenteil. Was ja viele gar nicht wissen ist, dass ich zusammen mit einem Partner vor über 20 Jahren eine Firma in Hamburg gegründet habe. Zunächst haben wir große Events und Shows produziert und später sind wir zum Künstlermanagement übergegangen. Heute haben wir dort einige deutsche Stars unter Vertrag. Wir haben ihre Karriere begleitet oder weiter ausgebaut, ich habe da im Hintergrund auch mitgewirkt. Vor gut acht Jahren hat dann meine eigene Karriere vor der Kamera begonnen, die auch von meiner Agentur unterstützt und begleitet wurde. In unserer Agentur Sundance sind z. B. Persönlichkeiten wie Tim Mälzer, Thomas Hayo, Jan Hahn, Alexander Herrmann unter Vertrag.
Mein Job war eher hinter den Kulissen mit dem Fokus auf Styling. Irgendwann bin ich durch einen Zufall entdeckt worden. Unser Geschäftsführer schlug mich der Produktion von „Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum“ für eine Sonderrolle als Catwalk-Trainer vor. Ich reichte meine Unterlagen ein, flog zu einem Gespräch nach München und eine Woche später saß ich schon im Flieger nach Los Angeles, um in Heidi Klums Show mitzumachen. Das war zwar alles nicht geplant, aber es war ein durchaus glücklicher Zufall und eine Chance, die ich genutzt habe. Und meine Passion für Mode, die ich schon immer hatte, hat mir neben vielen anderen Dingen sicherlich vor der Kamera geholfen, mich zu positionieren. Schon meine Großmutter und Mutter waren übrigens sehr modeaffin. Bereits damals konnten die beiden beobachten, wie ich mich immer mit der Kleidung, dem Schmuck und den Schuhen meiner Großmutter beschäftigte und mich damit stylte. Auch mein Vater ist ein sehr modebewusster Mann. Sogar heute, mit 96 Jahren, muss er alles perfekt und stylisch haben. Im Prinzip habe ich das Studium in der Tschechoslowakei damals nur gemacht, um ein bisschen Geld zu verdienen, um Kuba zu verlassen und um nach Europa zu kommen. Doch zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich irgendwann per Zufall in die Modewelt eintauche.
Ajouré: Könnte man aber trotzdem sagen, du hast schon, wenn du dich als Kind gestylt hast, irgendwo ein bisschen davon geträumt, dass es in diese Richtung gehen darf?
Jorge: Ich wollte als Kind immer auf der Bühne stehen. Aber als klassischer Tänzer. Ich lief schon mit vier Jahren wie eine kleine Ballerina durch die Gegend. Alles was ich im Fernsehen an Ballett sah, habe ich versucht zu imitieren. Ich hatte damals zwar die Chance, meinen Traum zu verwirklichen, aber mein Vater wollte das nicht. Bis heute tanze ich sehr gerne und ich habe auch keine Probleme damit, mich tanzend zu zeigen. Für mich macht das, seit ich ein kleines Kind war, bis heute noch sehr viel Spaß.
Ajouré: Wir von der AJOURE´ versuchen immer, von Menschen wie jetzt dir, die unglaublich viel mit Mode zu tun haben, unseren Lesern etwas mit auf den Weg zu geben und fragen deshalb unsere Interview-Partner: Was möchtest du allen Frauen mit auf den Weg geben?
Jorge: Es ist fast wie ein Motto von mir: „Du bist gut so wie du bist!“. Meine Großmutter war die einzige, die damals bemerkte, dass ich homosexuell bin. Sie hat nie darüber gesprochen. Sie schaute mich nur an und sagte: „Du bist gut so wie du bist!“.
Das war alles, was sie sagte – und kein einziges Wort mehr oder weniger. Seit diesem Moment habe ich angefangen, mich selbst zu akzeptieren wie ich bin. Damals als Kind hatte ich wegen meiner Größe und meinen Lippen Komplexe. Doch ab diesem Moment war alles für mich in Ordnung. Das erste, was ich in den Kursen meiner Chicas Walk Academy immer sage, ist: „Du musst jeden Morgen in den Spiegel schauen und dir sagen „Du bist gut so wie du bist!“. Wir können eh nichts anders machen. Es ist wie es ist. Deshalb akzeptiere dich so wie du bist. Egal ob groß, klein, dick oder dünn und lerne, daraus das Beste zu machen.
Ajouré: Was wir ja aber nicht so oft sehen in der Modewelt. Wir haben z. B. Germanys Next Topmodel, dort gibt es dann ein Mädchen, einen Rohdiamanten. Dieses Mädchen wird dann auf diese Art verändert, wie sie heute gewollt wird. Ist denn das legitim?
Jorge: Es gibt einen Unterschied zwischen einer normalen Frau und einem Model. Eine normale Frau kann und soll sein wie sie ist und sich für niemanden verändern. Ein Model allerdings muss gewisse Voraussetzungen erfüllen. Denn Model ist ein Job. Es ist Arbeit. Es ist vielleicht ähnlich wie bei einem Arzt. Er muss viele Jahre lang studieren und lernen, damit er Patienten behandeln darf. Ein Model muss auch ein Stück weit Flexibilität mitbringen. Sie braucht Qualitäten, die eben nicht alle Frauen haben. Viele können diesen Job nur ein paar Jahre machen. Ein paar wenige halten hier viele Jahre durch. Aber was wir von den Models sehen, ist keine Realität wie bei einer normalen Frau, sondern harte Arbeit. Modeln ist wirklich ein Job, der dir alles abverlangt.
Ajouré: Also sagst du: Privat sei wie du bist?
Jorge: Genau. Privat sei wie du bist, aber im Job musst du dich beweisen. Egal ob als Journalist, Grafiker, Designer, Sportler oder Entertainer. Du willst ein guter Sportler sein? Dann trainiere jeden Tag mindestens acht Stunden. Du musst leiden, damit du besser wirst als andere. Und hier kritisiert auch niemand den Sportler oder den Tänzer, der immer und immer wieder die Choreographien übt. Aber ein Model steht immer im Scheinwerferlicht und transportiert all die harte Arbeit und die Qualen nach außen. Ein Tänzer übt für sich alleine. Ich sage immer: „Hey, sie ist nur ein Model. Sie ist nicht besser oder schlechter als du. Sie macht nur einen Job, und sie ist auch nicht hübscher als du.“ Das Schönheitsideal wechselt auf diesem Planeten von Kontinent zu Kontinent. In Kuba zum Beispiel haben dünne Models keine Chance, die Chicas müssen etwas auf den Hüften haben. Ich war einmal mit meinem Vater bei einer Modenschau zur Fashion Week in Berlin. Die Models liefen und liefen und irgendwann fragt mein Vater, wann denn die Models kämen und ich sagte nur: „Papa, das waren die Models.“ Jeder hat ein anderes Schönheitsideal und das ist gut so. Gerade heute höre ich oft, wie Mädchen andere Mädchen auf Instagram bewundern und sagen: „Wow, ist die hübsch!“ Viele wissen vielleicht gar nicht, dass sie Unmengen an Make-up im Gesicht haben, zahllose Filter und eine Photoshop-Bearbeitung am Ende. Das ist unsere mediale Welt von heute.
Ajouré: Schweres Thema. Jetzt werden wir bisschen lockerer. Was sind deine höchsten High-Heels?
Jorge: Ähm, 24.
Ajouré: 24?! (staunt)
Jorge: 24 Zentimeter.
Ajouré: Lacht.
Jorge: 24.
Ajouré: Jetzt machst du ja alles auf hohen Schuhen.
Jorge: Ja.
Ajouré: Alles?
Jorge: Ich meine, in meinem Job ja.
Ajouré: Daher jetzt die Frage: Gibt es denn noch etwas, wo du immer die High-Heels ausziehst? Zum Beispiel beim Autofahren? (beide lachen)
Jorge: Ja, beim Fahren finde ich es zu gefährlich. Das wäre ja Selbstmord, High Heels beim Autofahren, das geht einfach nicht.
Ajouré: Also im Job immer und privat?
Jorge: Turnschuhe, Cowboy-Boots, Biker-Boy-Boots, aber kaum High-Heels. Sie sind meine Arbeitsinstrumente.
Ajouré: Vielen Dank für das lustige Interview. Ich hoffe, du konntest etwas dabei essen.
Jorge: (lacht) Ja danke. Ich befürchte, du wirst mein Schmatzen auf dem Tonband hören.
Das Interview wurde geführt von Tobias Bojko.
Fotos: Markus Nass, Thorsten Weigl, Franziska Krug / Kontributor / Getty Images