Uns für andere schuldig fühlen oder eifersüchtig sein, funktioniert meist nicht. Da hat die beste Freundin wieder einmal die Liebe ihres Lebens verloren und wir fühlen mit ihr, doch sind wir auch genauso traurig, wie sie es gerade ist? Mit Sicherheit nicht. Was wir jedoch alle können, ist, uns für andere zu schämen. Das neue Zauberwort dafür heißt: Fremdschämen. Doch warum schämen wir uns eigentlich für andere? Wir haben doch gar keinen Grund dafür, oder? Hast du dir diese Frage vielleicht auch schon mal gestellt? Dann geht es dir so wie vielen Menschen, denn warum wir uns eigentlich fremdschämen, ist vielen ein Rätsel…
Komplexe Sache
Man sagt, dass das Schamgefühl eine sehr menschliche und komplexe Emotion ist. Dieses Gefühl gehört nicht zu den Basisemotionen wie zum Beispiel Wut, Trauer oder Angst. Basisemotionen zeigen bereits Säuglinge, während sich das Schämen erst im Laufe des Lebens entwickelt. So wie Scham, zählt auch Stolz, Eifersucht und Schuld zu den sogenannten sozialen Emotionen. Diese Art von Emotionen werden als moralischer Barometer bezeichnet. Sie zeigen sich dann, wenn gegen eine Sozialnorm verstoßen wird. Die Funktion? Sie soll die zwischenmenschliche Beziehung regulieren können. Schuld kann zum Beispiel durch eine Entschuldigung reguliert werden. Dadurch wird das Gesicht gewahrt und die soziale Verbindung wiederhergestellt.
Anders als bei Eifersucht oder Trauer kann man sich sehr wohl für andere Menschen schämen. Was genau bedeutet dies? Wenn dir deine beste Freundin darüber berichtet, wie traurig sie ist, weil sie sich von ihrem Freund getrennt hast, bist du vielleicht mitfühlend doch dieselbe Trauer, die sie gerade erlebt, kannst du nicht empfinden. Erzählt sie dir jedoch von einem peinlichen Moment, kannst du dich selbst ebenso für sie schämen, wie sie es selbst getan hat.
Doch auch für eine Person, die dir vollkommen fremd ist, kannst du dich schämen, wenn du zum Beispiel siehst, dass Essensreste im Bart eines Mannes auf der Straße kleben etc.
Eine Situation, die wir alle kennen: Casting-Shows. Hier schämen wir uns oft für Menschen, die wir absolut nicht kennen. Studien belegen zudem, dass es egal ist, ob der Betroffene mit voller Absicht oder unabsichtlich einen Fauxpas begeht.
Das Gefühl des Fremdschämens ist im Trend!
Beim Fremdschämen handelt es sich nicht um ein neues Gefühl. Doch wir alle kennen meist vor allem Gefühle wie Hass, Liebe und Eifersucht. Das Schämen für andere erreichte unser Bewusstsein bisher nicht so sehr. Erst seit dem Jahr 2009 gibt es das Wort Fremdschämen offiziell in unserem Wortschatz, denn da nahm es der Duden auf. Verdanken haben wir das Wort übrigens ebenfalls den vielen Casting-Shows. Doch warum genau schämen wir uns eigentlich so oft fremd? Warum empfinden wir nicht einfach nur Schadenfreude, sondern schämen uns tatsächlich gerne für die andere Person mit? Was genau passiert eigentlich bei Fremdscham?
Wir alle sind besonders mitfühlende Wesen, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. In Situationen, in denen wir uns für andere Menschen schämen, können wir uns prinzipiell sehr gut in diese hineinversetzen. Man kann also davon ausgehen: Je empathischer wir veranlagt sind, desto mehr neigen wir auch dazu, uns für andere Personen zu schämen. Die Hirnaktivität ist bei empathischen Menschen aktiver. Fremdschämen ist sozusagen Seelenpein. Erstaunlich ist zudem, dass wir uns umso mehr für eine Person schämen, wenn wir von den Außenstehenden mit dieser Person assoziiert werden.
Wozu dient das Fremdschämen eigentlich?
Was sagt es nun über dich aus, wenn du dich für andere schämst? Viele Menschen denken, dass das Fremdschämen etwas mit Arroganz zu tun hat. Doch dem ist nicht so. Vielmehr ist es so, dass sich diese Menschen um die sogenannte soziale Integrität der Personen sorgen. In der Tat befürchten viele Menschen, dass die betroffenen Personen selbst nicht bemerken, dass sie mit ihrem peinlichen Verhalten ihre Umgebung verunsichern oder verärgern. Im Grunde ist dies also in der Tat eine Art von Mitgefühl.
Fremdschämen ist also eine soziale Funktion. Läufst du beispielsweise vor Scham rot an, meldest du der Person zurück, dass du dich für sie schämst. Und warum schämst du dich für sie? Weil sie sich unangebracht verhalten hat. Man zeigt durch das Fremdschämen also, dass man sich in die andere Person hineinversetzen kann. Dies ist praktisch eine Grundvoraussetzung für ein menschliches Zusammenleben. Wenn man das Leid von anderen nicht wahrnehmen kann, kann man auch die Grenzen dieser Personen nicht erkennen und beachten.
Wie kann man das Fremdschämen wieder loswerden?
Wenn das Fremdschämen zu stark wird, kann dies auch belastend sein. In diesem Fall sollte man genau hinsehen, woher das Fremdschämen kommt. Meist wird das Schämen für andere stark, wenn man selbst Angst hat, in solch eine Situation zu geraten.
Das Fremdschämen erinnert also auch an die eigene Unsicherheit. Im Alter nimmt die Scham für andere übrigens meist ab. Mit den Jahren werden wir ruhiger und gelassener und natürlich auch selbstsicherer. In jedem Fall solltest du in vielen Momenten einfach das Lustige an der Situation sehen. Dadurch kannst du das Fremdschämen ein wenig bekämpfen.
Schämst du dich für jemanden anderen, solltest du dich also fragen, was die Situation gerade in dir auslöst. Schäme dich nicht fremd, sondern freue dich lieber über eine lustige Situation, die du gerade erleben durftest! Dies führt übrigens auch oft dazu, dass du dich selbst nicht mehr peinlich berührt fühlst, in Situationen, in denen du dir einen Fauxpas erlaubt hast.
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