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Kolumne: Lieber 1. Januar…

… du armer Kerl. Ich befürchte, dass bisher sehr wenige beschlossen haben, dir einen Brief zu schreiben. Du bist eben nicht unbedingt der Liebling unter den Tagen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass dich so ziemlich jeder verschläft und dir die Schuld an seiner körperlichen Verfassung gibt.

Wäre Silvester nicht am 31. Dezember, dann hättest du, der 1. Januar, zumindest mal eine Chance, wahrgenommen zu werden. Angesichts deiner Kälte verkriecht sich nämlich sowieso jeder im Bett, besser: Niemand kommt raus. An Feiertagen wird grundsätzlich im Bett gefrühstückt und wenn vergessen wurde einzukaufen, dann wird spätestens das Abendessen bis an die Tür im sechsten Stock bestellt.

Dabei ist deine Ausgangslage gar nicht mal so schlecht. Schließlich bist du es, der uns das neue Jahr vor die Tür knallt und wenn wir die Nummer Eins auf dem Kalender sehen, dann wissen wir, dass es keinen Weg zurück gibt. Rien ne va plus! Du hast die Zügel in der Hand und gibst uns trotzdem durch deine Anwesenheit eine kleine Verschnaufpause, bevor wir so richtig loslegen müssen. Unsere Zweifel über Bord werfen und das noch kurz zuvor geschwenkte weiße Taschentuch in den Hosentaschen verschwinden lassen müssen. Eigentlich ziemlich brillant.

Außerdem trat mit deiner Anwesenheit schon so manches in Kraft, wie zum Beispiel die super langweilige Währungsumstellung, nur, um das mal kurz anzuschneiden. Also, lieber 1. Januar, du hast was drauf, keine Frage.

Doch wie schaffst du es, das ganze Jahr präsent zu sein, um dann an deinem großen Tag so unvergleichlich übergangen zu werden?

Am 1. Januar gibt es keine Cocktailpartys, auf die sich alle seit Wochen freuen. Im Gegenteil, ich kann mich sehr gut daran erinnern, vor fast 10 Jahren an deinem Tag eine pubertäre Hausparty gegeben zu haben. Aus Angst, meine Eltern könnten zu früh aus dem Ski-Urlaub zurückkommen (man kennt das ja sehr gut aus den Filmen), lud ich alle schon am Neujahrstag zu mir ein und zwang jeden zum Feiern. Aber pronto, hoch die Tassen, äh, Gläser! Am Ende saßen alle mit gequälten Gesichtern am Tisch, ab und an erzählte mal jemand eine müde Anekdote, das Bier blieb unangetastet, das stille Wasser lief in Strömen! Ich hatte versucht, was aus dir zu machen, 1. Januar, doch keiner zog mit. So wie jedes Jahr.

Denn die Wahrheit ist, dass alle dich verschlafen. Und diejenigen, die wach sind, verfluchen dich. Weil es ihnen – wie jedes Jahr um diese Zeit – viel zu schlecht geht, um Neujahrsbekundungen persönlich entgegenzunehmen und weil der Heißhunger auf alle möglichen Gerichte nur schwer zu stillen ist. Silvester bleibt glamourös, ob du willst oder nicht (psst, ich will auch nicht). Und du, du bleibst ein armer Kerl, ob du willst oder nicht. Am besten ist es, du feierst dich endlich mal selbst während dem Jahr. Und machst darauf aufmerksam, wie viele (welt-)politische Beschlüsse an deinem Ehrentag in Kraft treten. Da schau her!

Wenn das alles nichts bringt, muntert dich vielleicht Folgendes auf: Selbst die Beatles wurden am 1. Januar (1962) von einer Plattenfirma abgelehnt, mit der Begründung, dass Gitarrenmusik nicht mehr in sei. Und schau, was aus denen geworden ist!

Im Endeffekt liegt es an uns allen, was wir aus dir machen. Und ich verspreche, dass egal, wie viel ich letzte Nacht getrunken und gegessen habe, ich werde mein Bett verlassen und irgendetwas Sinnvolles tun. Für dich! Versprochen. Auf ein Neues.

Kuss,
deine Anika.

Foto: Anika Landsteiner

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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