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Kolumne: Vielleicht

Wenn uns früher im Klassenzimmer ein Zettel zugesteckt wurde, auf dem die allseits bekannte und oftmals ersehnte Frage „Willst du mit mir gehen“ stand, da gab es nicht nur die Antwortoption des Ja-Sagens, sondern auch die der Verneinung. Und manchmal, wenn man cool sein wollte, stand da sogar ein vielleicht. Doch heute fällt es immer schwerer, wirklich nein zu sagen. Oder wirklich ja. Denn die wichtigste Frage von allen ist: Was denken die anderen dann über mich?

Oder etwa nicht? Ich könnte jetzt ganz tief in die Trickkiste greifen, um diejenigen zu überzeugen, die behaupten, sie würden grundsätzlich zu ihrer Meinung stehen: Denn ist es nicht so, dass in unserer Generation Y – und da haben wir schon einen Begriff als Antwort auf die Frage – es manchmal unmöglich scheint, eine klare Linie zu fahren?

Beispiel: Da ist dieser Typ beim Pumpen. Er sieht gut aus, das findet er auch, mustert sich im Spiegel, eigentlich ein netter Kerl. Er tut was für sein Aussehen, traut sich aber nicht so ganz, komplett zu sich „Ja“ zu sagen. Die Öffentlichkeit könnte es mit Arroganz verwechseln. Er ertappt sich dabei, ein Selfie von sich zu schießen. Und wie von Geisterhand findet es sich auf Instagram wieder. Keiner liked es. Die Minuten vergehen, er fühlt sich immer unwohler, überlegt, es von der Plattform herunterzunehmen. Im Minutentakt checkt er die Leiste unter dem Bild, er wird ganz verunsichert und schaut abwesend in den Spiegel. Dann plopp, ein Like. Von einer Bekannten aus dem Studium, die er toll findet. Vielleicht.

Ist das Internet Schuld? Diese böse Parallelwelt, die unsere Schattenseiten abholt und uns die Möglichkeit gibt, lediglich die Sonnenstunden zu kommunizieren.

Vor allem ist mir das Problem aufgefallen, als die Ice Bucket Challenge die einzige Aktion war, die es auf der Timeline zu bestaunen gab. Zuerst fand ich die Welle der Aufmerksamkeit auf diese Krankheit toll. Dann wurde mir allerdings schnell klar, dass die meisten aus reinem Selbstdarstellungstrieb sich halb nackt vor der Kamera präsentierten, um sich einen Eimer Eiswasser über das hübsche Haupt kippen zu lassen. Aber nachdem ich mich darüber informiert hatte, wie die ALS-Forschung arbeitet (mit grausamen Tierversuchen, die es laut medizinischen Sprechern an dieser Stelle gar nicht braucht) und wo das gespendete Geld hinfließt (wie sollte es anders sein, vor allem in die Gehaltstaschen der Vorstände), packte mich wirklich die Angst, ich könnte nominiert werden. Warum? Ich hätte „nein“ sagen müssen, klar und deutlich. Für mich. Gespendet hätte ich ebenfalls nicht, denn ich spende nur für kleine und greifbare Vereine, wo ich wirklich weiß, dass das Geld dort ankommt, wo es ankommen muss.

So, und nun? Was hätten die Menschen über mich gedacht, wenn es zu diesem Fall gekommen wäre?

Vielleicht ist das Internet schuld. Zumindest leistet es einen großen Beitrag dazu, dass verunsicherte Menschen noch unsicherer werden.

Man kommt nicht drum herum, sich der Welt zu stellen und dabei ab und an ins Schwanken zu geraten. Selbst abseits des Online-Universums gibt es Tage mit brenzligen Situationen, in denen unser Gegenüber uns regelrecht an die Wand fährt und wir entscheiden müssen, ob wir erstarren vor Schreck oder Angreifen, was nicht negativ gemeint ist. Eher als Synonym dafür, für sich und seine Werte einzustehen.

Denn das Wichtige ist ja: Wir müssen nicht einer Meinung sein. Aber wir müssen andere gelten lassen.

Foto: Anika Landsteiner

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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