StartLifestyleKolumneKolumne: Urlaubsort Liebe

Kolumne: Urlaubsort Liebe

Aufstehen, richten, stärken, arbeiten, schlafen.
Aufstehen, richten, stärken, arbeiten, schlafen.

Und da alle guten Dinge drei sind:
Aufstehen, richten, stärken, arbeiten, schlafen.

Der berühmt berüchtigte Alltag eines jeden Erwachsenen wird beherrscht von sich immer und immer wiederholenden Mustern. Du bist im Zugzwang der Zeit, des Geldes und der Verpflichtungen. Allein deshalb ergibst du dich der Monotonie des gesellschaftlichen Lebens und scheiterst im selben Moment an dieser Routine. Es macht mehr den Anschein, dass wir an der Eintönigkeit unserer Aufgaben, den freundschaftlichen Verpflichtungen, den sich stapelnden Rechnungen und den (ehren)amtlichen Aktivitäten ersticken, anstatt dem nachzugehen, was die Macht besitzt uns zu beflügeln. Wie denn auch?

Denn letztlich will alles bezahlt werden, da ein jedes Gut seinen Preis hat. Der einzig logische Ausweg aus der misslichen Lage scheint die Überwindung, das Zerschlagen des Alltags zu sein. Das Vermeiden von Lücken gilt zwar als oberstes Gebot, doch genau diese Lücke entsteht in unserem Herzen, wenn wir dem Alltag mehr als genug Platz einräumen. Zu viel Platz, mehr als ihm eigentlich zustünde. Eben diese Monotonie zwischen dem Aufstehen und der Arbeit sollte nie mehr als ein Mittel zum Zweck sein.

Das Dilemma zwischen der Lücke im Lebenslauf, des Kontos und der Liebschaften scheint in einer Art Korrelation zueinander zu stehen. So entscheidest du dich, das unsicherste dieser Komponenten aus deinem Leben zu streichen. Da Geld und Karriere miteinander zusammenhängen, fällt die Entscheidung wohl oder übel auf die Liebe. Denn selbst Mutter sagte einst: “Liebe sättigt weder den Hunger, noch stillt es den Durst, selbst Obdach bietet es nicht. Also triff deine Entscheidungen weise.”

So entscheidest du dich, geleitet von pädagogischen und gesellschaftlichen Konventionen, für das Leben in der Dauerschleife und lebst es fortan mit dem Finger auf der “Repeat” Taste. Du magst dich zwar für den König im Dschungel halten, doch bist du nicht mehr als der Hamster im Laufrad. Der Hamster scheint hier für dich, das pädagogische sowie genetische Erzeugnis deiner Eltern zu stehen und das Laufrad ist deine Umwelt, deine Vergangenheit, deine Gegenwart und gleichzeitig deine Zukunft. Du hinterfragst nichts, wozu denn auch? Wieso sollten dir deine Vorbilder Mama, Papa, Lehrer und Mentoren einen schlechten oder gar unehrlichen Rat geben?

Gutgläubig und naiv entscheidest du dich gegen das Reflektieren oder Abwägen dieser goldenen Worte, denn guter Rat ist auch wieder hier insbesondere eins, nämlich teuer. Fernab hiervon ist der Durchbruch deiner eigenen Alltagsmonotonie offensichtlich schwerer, gar komplizierter als gedacht.

Also warum den Weg des Widerstands gehen, wenn man auch den bereits geebneten Weg gehen kann? Das Leben ist doch schließlich kein Hindernislauf.

Montag bis Freitag verstreichen die Werktage mit den gleichen Zielen. Die in- und auswendig gelernten Aufgaben vor Auge habend, schleppst du dich schließlich ins Wochenende. Feierabend! Und wie dieser Abend gefeiert wird, denn heute gehen wir aus! Eine Art Mini-Rebellion, ein kleiner Aufstand eben. Du möchtest dein erfolgreiches, dennoch komplett liebloses Leben feiern, da du immerhin ein kleines bisschen Farbe in all dem Grau benötigst. Es ist kein Montag, auch kein Mittwoch, sondern Freitag. Für gewöhnlich sitzt du an diesem Abend Zuhause auf der Couch oder liegst mit deiner Lieblingspizza im Bett und schaust deine mit Kitsch und Utopie gespickten Schnulzen. Ja, in Hollywood gibt es noch Liebe, denkst du dir, während mein Leben nicht einmal Bollywood gleicht.

Genug gejammert, Skinny Jeans statt Jogginghose heißt es. Ab in die Transformationskammer, das Bad. Die Verwandlung von Büromensch zu Superheld steht an. Als Büromensch kannst du nicht einfach mit deinen Leuten um die Häuser ziehen, nun folgt das Vorbereitungsritual. Die Verwandlung abgeschlossen, stehst du nackt und leicht nass vor deinem Kleiderschrank und fragst dich, wie du dein Outfit wohl heute zusammensetzen sollst. Es folgen etliche Fragen. Grundlegende und essentielle Fragen, die leider keiner außer dir beantworten kann. Ja nicht Mama und Papa um Rat fragen, denn der Rat würde dich teuer zu stehen kommen. Die lila Hose und der dazugehörige Spitzname “Milka” aus der fünften Klasse fallen mir wieder ein. Ja, die Meinung der beiden wäre tatsächlich fatal!

Nun. Was zieh’ ich an? Welche Schuhe kombiniere ich zum bisherigen Outfit? Passt denn der Gürtel überhaupt zu den Schuhen? Sieht man den Gürtel überhaupt? Was würde wohl Karl Lagerfeld zu meiner heutigen Kombination sagen? Schließlich möchte ich ja etwas, das die Adjektive gewagt, lasziv, fesch, mutig, offen, aber nicht zu offen gar nuttig schreit. Chic – léger soll es sein. Nicht zu bedacht, aber auch nicht lieblos. Ich mache mir wohl viel zu viele Gedanken für einen Abend, an dem alle Teilnehmer alkoholisiert durch das Dunkel tappen werden und nicht einmal die einzelnen Gesichter der Gestalten, ganz zu schweigen ihre (un)modischen Zusammenstellungen wahrnehmen werden. Also warum sollte ich mir unzählige Gedanken über die Zutaten meines Outfits machen? Prompt kommt der Gedanke: “Ich tue es für mich!” Und im selben Moment weißt du, dass du es natürlich nicht für dich tust, sondern für alle anderen im gleichen Bunker. Die Zeit rennt, die Nacht kann kaum warten und will gelebt, erlebt und erobert werden. Das Outfit sitzt. Das obligatorische Ausgeh-Selfie ist geschossen und die Eintrittskarten für den Club liegen bereits vor. Auf die Plätze. Fertig? Los!

In vollkommener Ahnungslosigkeit über das bevorstehende Ereignis, freust du dich und kannst die Reunion mit deiner großen Liebe kaum erwarten. Sehnsuchtsvoll und überglücklich siehst du sie an. Da ist sie, die Tanzfläche. Ach, wie hast du es vermisst, dich auf dem Spielplatz der Erwachsenen auszutoben. Anfangs etwas verhalten, vorsichtig und leicht unsicher, tastest du dich langsam aber sicher vor. Nach dem zweiten Gin Tonic steht eurem gemeinsamen Glück nichts mehr im Wege und die Symbiose kann stattfinden. Du lässt es krachen, feierst deine Ups and Downs des Jahres, hältst dich nicht ansatzweise zurück und lässt dich einfach treiben. Ihr seid wieder vereint.

Dennoch müssen kurze Solo-Phasen sein, schließlich möchte man ja nicht 24/7 aufeinandersitzen und sich nerven. Denn eben das würde das Anschleichen des Feindes, den Alltagstrott begünstigen. So folgt eine kleine Zigarettenpause, denn Abstand bringt ja bekanntlich Nähe. Während du an deiner Zigarette ziehst und dich erneut auf den Dancefloor freust, strahlt dich etwas an. Ein Strahlen, was dir bis dato mehr fremd als vertraut war. Etwas total Unerwartetes sozusagen, eine 1,75 m große Supernova in winterlich-weihnachtlichem Hemd mit Schneeflockenmuster und roter Satin-Fliege. Gebannt von dem Anblick zieht es dich hin, eine Unterhaltung der etwas anderen Art folgt. Kein belangloser, sinnloser Smalltalk. Kein verbaler Unsinn, sondern Wörter mit Gewicht, mit Inhalt. Auf die Faszination folgt ein Kuss, Korrektur: der Kuss des Jahres. Es ist anders, vertrauter, sinnlicher und erstaunlich innig als bisher Bekanntes und Erfahrenes. Gebannt von einem märchenhaften Kuss, zieht es mich wieder zurück zur vermeintlich wahren Liebe, zur Tanzfläche.

Erneut vereint, hat sich nun auch meine Ausstrahlung um ein Vielfaches potenziert. Mich hält nichts mehr zurück, ich strahle mit der Clubbeleuchtung um die Wette. Nach gefühlten Sekunden ist die kleine Supernova direkt vor mir. Erneut ein Kuss, ein Kuss der mich alles vergessen lässt. Wo bin ich? Wer bin ich? Warum bin ich?

Und plötzlich ist da der Plot Twist (dt.: Handlungswechsel) der heutigen Nacht und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie dein bisher vertrautes, dezent langweiliges, allerdings perfekt einstudiertes Leben von heute auf morgen über Kopf steht. Deine sonst so bekannte, sowie brillant inszenierte Routine bröckelt, fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen und die Fassade bricht und splittert in tausend Teile. Der Alltag wurde tatsächlich zerschlagen. Ab sofort spielt sich alles ganz anders ab. Dein Leben übernimmt nun die Eigenregie. Schmetterlinge überall, um die Wette strahlen mit der Sonne, die durchdringende Musik und auf einmal vergisst du deine Aufgaben, deine öden Verpflichtungen und alles wird komplett belanglos. Du bist angelangt im Ausnahmezustand, im Urlaubsort Liebe. Nach traumhaften Stunden zu zweit und etlichen Gesprächen fallen immer weitere Gemeinsamkeiten auf. Es macht den Anschein, als ob all das vorbestimmt wäre und die Begegnung so im Buche stand. Jede Berührung fühlt sich richtig an, wie eine Art Kurzurlaub. Eine Flucht aus dem Alltag. Nur kurz die Verpflichtungen vergessen und die Batterien tanken, vielleicht ist das ja auch eine Art Wohlfühloase, die mal etwas länger Bestand hat als vergangene Geschichten.

Nach nahezu 24 gemeinsamen Stunden entpuppt sich die vermeintliche Oase als Fata Morgana. Der Schein trügt, schwindet und die Supernova erlischt. Eure Beziehungskonzeptionen sind nicht kompatibel, es gibt kein Happy End. Denn das ist etwas, das keine Kompromisse kennt. Der Urlaub endet und die Realität nähert sich dir mit der Routine im Gepäck. Und ehe du dich versiehst heißt es erneut:

Aufstehen, richten, stärken, arbeiten, schlafen.

Foto: Sydney Shaffer / Getty Images

Umut Akcay
Umut Akcay
Umut, vom Bosporus ab ins idyllische Heidelberg, wo er sich dachte, er könne ja mal Germanistik studieren. Er kennt mehr Worte, als Langenscheidts komplette Enzyklopädie. Kaum jemand nimmt sich so oft selbst auf die Schippe und ist dabei gleichzeitig noch so zurückhaltend selbstkritisch.

BELIEBTE BEITRÄGE

AKTUELLE BEITRÄGE