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Kolumne: All Eyes On You

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Diese sechs Worte mögen vielleicht der Leitspruch für die eine oder andere Person innerhalb einer Beziehung sein, während sie bei der vertrauenden Bevölkerungshälfte Schweißperlen auf die Stirn zaubert, da sie Einengung, Kontrollwahn und krankhafte Eifersucht bedeuten. Bereits in der Jugend stellen wir fest, dass Vertrauen durchaus seltenes Gut ist, wenn unsere Mutter beim Aufräumen die sorgfältig versteckte Zigarettenschachtel oder, nicht gerade weniger schlimm, die Kondome entdeckt. Eine der wichtigsten Lebensaufgaben muss nun erlernt und bis ins kleinste Detail verinnerlicht werden. Man vertraut uns nicht. Mit dieser nonverbalen Unterrichtseinheit über Vertrauen, Kontrolle und Überwachung wachsen wir nun auf und stellen eines Tages fest, dass es durchaus berechtigt ist, uns in der einen oder anderen Situation nicht zu trauen und wir dies ebenfalls bei unseren Gegenübern nicht immer und vielleicht sogar wahrhaftig gar nicht tun sollten. Bis zum Auszug aus dem vertrauten Heim, wird der eine oder andere Leser dieser Kolumne sich wohl nickend eingestehen, hat nahezu ein jeder von uns schon manch eine Lüge aufgetischt, natürlich nur um zu überleben. Wäre das nicht notwendig gewesen, hätten wir das sicherlich nie getan. Wieso denn auch?

Nun stellen wir heute, einige Jahre später, fest, dass es selbstverständlich auch ohne diese vermeintlich notwendigen Lügen möglich gewesen wäre, das heutige Alter problemlos zu erreichen. Warum dann lügen? Ein Schlagwort genügt, um die vorangegangene Frage zu beantworten, nämlich Bequemlichkeit. Der Luxus, den Konsequenzen, die mit der Wahrheit verbunden sind, zu entgehen und sich somit das Leben leichter zu machen, als es tatsächlich wäre. Also lügen wir, dass sich die Balken biegen und zwar im Elternhaus, in der Schule, im Job, in Freundschaften und in der Liebe. Der Teufelskreis beginnt. Hierdurch vertrauen wir weder uns noch unserem Gegenüber. Dieser Mangel an Vertrauen hat die Folge, dass nun ein wahnwitziger Staffellauf der Kontrolle beginnen darf. Stets im Wechsel gibt es prompt nur noch ein Objekt der Begierde in der Liebe und zwar das Handy unseres Partners. Als ob Facebook und diverse andere Perversionen des Internets unsere Daten und Chats nicht bereits im Visier hätten, sind sie nun auch im Fokus des Partners oder im eigenen Blickfeld. Sämtliche Chats und Fotos der Vergangenheit und Gegenwart werden wie von einem Scharfschützen, der sein Ziel ins Visier nimmt, erfasst. Das gefundene Beweismaterial wird analysiert, interpretiert, gewertet und somit darf unser Partner nun auch vor Gericht geladen werden. Ganz ohne Jurastudium befördern wir uns zum Richter mit absolutistischen Urteilen. So darf der Prozess endlich beginnen. Selbstverständlich hat der Angeklagte keinen Verteidiger, denn der persönliche Gerichtssaal obliegt nur unseren eigenen Regeln und Gesetzen. Ruhe im Gerichtssaal! Die Verhandlung ist schon im Gange. Plötzlich machen die Überstunden vor dem Fernseher, als wir „Unterhaltungsprogramme“ wie Cerealien zum Frühstück verzehrt haben, einen Sinn. Das war sicherlich die Vorbereitung auf heute, denn wir scheinen alle einen Crashkurs bei Richterin Barbara Salesch belegt zu haben und sind somit berechtigt, den Richterhammer schwungvoll und ohne Gnade zum Einsatz kommen zu lassen. Natürlich möchte man dem Partner vertrauen, doch wenn man ihn kontrollieren kann, spricht da auch nichts dagegen – oder etwa doch? Schließlich hätten wir ja auch einen Partner wählen können, der durchaus vertrauenswürdig erscheint, aber das wiederum scheint ein Paradoxon zu sein, da wir uns ja wahrlich nicht einmal selbst vertrauen. Denn wie wollen wir uns etwas als Partner anlachen, das wir selbst nicht verkörpern? Schließlich heißt es doch „gleich und gleich gesellt sich gern“, nicht wahr? Wo denken wir hin? Einen vertrauenserweckenden Mann zum Göttergatten erwählen? Viel zu langweilig! Kein Feuer, keine Leidenschaft, kein Drama und natürlich auch kein Prozess, den wir der verdächtigen Hälfte machen könnten.

Unser Hirn scheint in der Lage zu sein, sämtliche Horrorszenarien in Szene zu setzen und besagte Filmsequenzen vor unser inneres Auge zu projizieren. Also lautet der logischste aller logischen Gedankengänge doch: „Wenn wir es uns denken können, dann kann das doch unser Partner auch!“ Wichtig ist, den schmalen Grat zwischen siebtem Sinn in Bezug auf die Loyalität der zweiten Hälfte und das Stalking seiner Person zu wahren und somit nicht zu überschreiten. Schließlich ist alles andere in der Tat eines: Übergriffig. Und es grenzt an hysterischem Kontrollwahn, wie es Hera aus dem mythologischen Raum des Olymps auch einst getan hat. In der Tat gab ihr Göttervater Zeus bei seinen unzähligen Liebschaften und Affären auch allen Grund dazu, Spionage zu betreiben und sich überwachen zu lassen. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde schließlich verwendet, um dem Liebesakt dienen zu können.

Was lernen wir hieraus? Überwachung und Kontrolle scheint nicht bloß menschlich zu sein und findet sich nicht nur in der Antike, sondern auch in der Götterwelt wieder. Schluss mit dem mythologischen Exkurs und zurück zur Mäßigung der Überwachung. Denn übertreibt man es mit dem Misstrauen zum Partner oder zum Objekt der Begierde, kann dies vor allem eines begünstigen, nämlich eine „Einstweilige Verfügung“. Man denke an den schmalen Grat zwischen liebevoller Fürsorge, Interesse am Partner und krankhafter Obsession und Stalking. Allerdings scheint das wiederrum Interpretationssache zu sein, wenn man an die Serie Two and a half men und den Charakter Rose denkt. Als anerkannte Stalkerin entgegnete sie ihrem Objekt der Begierde, nämlich Charlie Harper: „Wir mögen den Ausdruck Stalker nicht. Wir bevorzugen das Wort Abgrenzungsbehinderte.“ Überwachung und Kontrolle scheinen in der Tat ein größeres Thema zu sein als gedacht, denn selbst fernab des Privatlebens und Unterhaltungsfernsehen spielt es eine enorme Rolle. Der Familie und dem Partner kann man früher oder später einen Riegel vorschieben und ihnen somit die Lupe aus der Hand nehmen. Das Vergrößerungsglas konfisziert, kann man nun den Blick auf den Staat, die sozialen Medien und andere übergeordnete Instanzen richten. Denn wer glaubt, dass er im 21. Jahrhundert die Anonymität genießen darf, irrt sich gewaltig. Spätestens seit dem NSA-Skandal ist nun offiziell bekannt, dass unsere Nachrichten wohl nicht ausschließlich vom Empfänger gelesen werden. Also fassen wir zusammen liebe/r Leser/in. Fotos, Nachrichten, Meinungen und etliche Unterhaltungen werden nun nicht bloß von der göttlichen Obrigkeit, der Familie und dem Partner überwacht, sondern auch vom Staat, den Five Eyes und den Medien, während letzteres lediglich als Postbote dieser fungieren sollten. Wie sonst lässt sich die persönliche Werbeschablone auf Facebook erklären? Kaum likst du einen Beitrag und plötzlich wird dir die neueste Kollektion an Dessous des Labels Victorias Secret präsentiert. Erneuerungen der Datenschutzrichtlinien auf Facebook werden gefühlt im Sekundentakt aktualisiert und somit bist du im Zugzwang, ständig neue Richtlinien und Updates deines virtuellen Profils zu lesen. Ironisch ist schon beinahe die Tatsache, dass der Staat die Kameraüberwachung mit Gesichtserkennung kontinuierlich ausbaut, während Fotos für Privatpersonen aus Datenschutzgründen verboten werden. Ja, spätestens jetzt nimmt das Leben jedes Menschen eine politische Dimension an. Im Grunde genommen, leben wir in einer einzig voyeuristischen Gesellschaft und Welt. Wer nicht in absoluter Transparenz leben möchte, darf und muss sich scheinbar von der Technologie und dem bisher bekannten Leben verabschieden. Beruhigend ist wohl in der Tat der Gedanke, dass sämtliche Nacktfotos, auch nudes genannt, nicht nur von der Herzensdame begutachtet werden. Betrachtet das als Genugtuung oder als virtuelle Ohrfeige des Karmas, liebe Frauen. Der virtuelle FKK-Strand ist längst ins Internet gezogen und darf endlich vom Staat, den Five Eyes und diversen anderen Einrichtungen begutachtet werden. Und wie wir ja alle schmerzlich wissen, ist ein Aufenthalt im FKK-Bereich nicht immer eine Augenweide. Ganz im Gegenteil können Geschlechtsorgane, Intimregionen, Cellulite und Körperbehaarung traumatische Ausmaße annehmen.

Als krönender Abschluss gilt es folgendes festzuhalten. Wer glaubt, dass mit der Abgabe des Löffels auch die Kontrolle abgegeben wird, irrt sich auch hier. Dem Testament sei Dank, ist es uns nun auch möglich, über etwas zu bestimmen, an dem wir lediglich rein physisch beteiligt sind. Auch nach unserem Ableben lebt unser Wunsch nach Kontrolle der eigenen Beerdigung und der damit verbundenen Zeremonie in unserem Testament weiter. Von der Wiege bis ins Grab lautet das Credo:

All Eyes On You!

Fotos: vu3kkm / stock.adobe.com

Umut Akcay
Umut Akcay
Umut, vom Bosporus ab ins idyllische Heidelberg, wo er sich dachte, er könne ja mal Germanistik studieren. Er kennt mehr Worte, als Langenscheidts komplette Enzyklopädie. Kaum jemand nimmt sich so oft selbst auf die Schippe und ist dabei gleichzeitig noch so zurückhaltend selbstkritisch.

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