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Kolumne: Ich will mehr.

Jede Frau weiß, dass nach einem gelungenen ersten Date und dem Satz „Ich ruf dich an“ das große Zittern bevorsteht. Denn man kann lediglich einschätzen, ob dem männlichen Gegenüber der Abend genauso gefallen hat und selbst ein Kuss hat manchmal nichts zu sagen. Am nächsten Morgen geht es los – mit dem Warten auf das Ende des Wartens. Aber das Telefon scheint beharrlich dazu zu schweigen.

Die „Drei-Tage-Regel“ ist ein Mythos, der so alt ist, dass man dabei das Gefühl hat, schon unsere Steinzeitvorfahren hätten sie umgesetzt und erst nach 72 Stunden Rauch aufsteigen lassen. Sie ist omni-präsent, jeder hat davon schon mal gehört und ich möchte behaupten, dass die meisten Frauen auch schon mindestens ein Mal in den Genuss überflüssiger Wartezeit gekommen sind. Ich frage mich, was eigentlich genau in unseren Köpfen stattfindet, wenn wir alle paar Minuten auf unser schweigendes Handy starren, uns jedoch selbst kategorisch verbieten, die Nummer des Auserwählten zu wählen?

Natürlich ist der Zauber des Anfangs der Allerschönste. Wenn jede SMS ein Freudenfeuer ist und beim Klang seiner Stimme sich der Himmel auftut und sich sämtliche Geigenspieler abseilen, um ihn musikalisch dabei zu unterstützen, ihr den Hof zu machen. Doch da kommen wir an den Knackpunkt:
Der Autor Hauke Brost schreibt in seinem Buch „Wie Männer und Frauen ticken“ darüber, dass die Frau niemals den Mann nach dem ersten Date anrufen darf. Denn der Mann möchte erobern und das schon seit über 3000 Jahren. Hätte sich diesbezüglich etwas geändert, hätte es sich geändert.
Ein bisschen hat er da schon Recht. Es gibt natürlich die Ausnahme des schüchternen Romantikers, der sich nicht traut, oder die des verpeilten Nerds, der die Nummer verlegt hat, aber wenn wir ehrlich sind, dann wollen Männer verdammt gerne erobern und wir Frauen finden den Moment, in dem endlich das Handy klingelt, absolut magisch. Wir tänzeln drum herum und nehmen erst ab, bevor wir checken, dass er gleich auflegen könnte.

Ich mag altmodischen Vorstellungen. Ich mag es, auf Händen getragen zu werden und ich mag es, wenn ein Mann zeigt, dass er von einer Frau nicht genug bekommen kann. Was ich aber nicht mag ist, wenn Datingrituale wie die beiderseitige Telefon-Regel durchgezogen werden ohne jeglichen Sinn dahinter. In diesen verlaufenden Tagen seilt sich bei Frau die Euphorie auf dem Emotionsbarometer hinab in den Keller. Sie schmeißt ihr Telefon in den Mülleimer und holt es dann kurze Zeit später wieder heraus, um ihre beste Freundin anzurufen. Während der Mann nicht zum Hörer greift, weil er wohl a) irgendwann mal gehört hat, nicht gleich am nächsten Tag anzurufen, b) nicht mit der Tür uns Haus fallen möchte oder c) gerade ein Kumpel vorbeigekommen ist und damit das Mädchen kurzfristig vergessen ist.
Oder ganz andere Gründe? Keine Ahnung, so weit bin ich in die männlichen Abgründe noch nicht eingetaucht.

Ich glaube nicht, dass wir alle generell Lust haben, Spielchen zu spielen. Das war mal interessant, als jeder noch Buffalos getragen hat und mit dem Handy sein Gegenüber hätte erschlagen können. Mittlerweile sind wir doch alle erwachsen (zumindest tun wir so) und sollten dem potenziellen Partner einfach sagen können, ob wir das Techtelmechtel eine Stufe empor heben möchten oder nicht.

Anscheinend stehen wir uns alle dabei ein bisschen selbst im Weg. Denn ich schätze, dass es die Unsicherheit ist, eventuell alleine mit dem Wunsch nach einer Partnerschaft dazustehen. Den Hörer in die Hand zu nehmen und „Ich will mehr“ zu sagen, ist eine grandiose Geste, allerdings nicht die Einfachste. Und vielleicht überlassen wir deswegen diesen einen, ersten Schritt dann doch lieber den Männern. Schließlich haben die uns eine Sache voraus: Die Sache mit dem überdimensional großen Selbstbewusstsein.

Foto: Anika Landsteiner

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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