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Kolumne: Eine Runde Rollenspielchen

Was wäre, wenn das schwächere Geschlecht auf einmal das Stärkere wäre? Wenn wir Frauen die Züge von Männern hätten und es den Herren der Schöpfung so gehen würde, wie es manchmal uns Frauen geht?

Die französische Regisseurin Éléonore Pourriat hat sich Gedanken dazu gemacht und heraus kam ein etwas überspitzter, allerdings wichtiger und an vielen Stellen sehr tragischer Kurzfilm: „La majorité opprimée“ (deutsch: „Die unterdrückte Mehrheit“).

Der Plot befasst sich mit einem Tag aus dem Leben eines Mannes, der die typische Frauenrolle auf allen Ebenen übernimmt. Beispielsweise ist er es, der morgens das Haus verlässt, um das Kind in den Kindergarten zu bringen, auf seinem Weg mit anderen plaudert und sich dann wieder nach Hause begibt. Zwischendurch joggen oberkörperfreie Frauen durch das Bild und er wird angepöbelt, weil seine Shorts zu kurz seien. Kurz vor der Haustür gerät er in den Blickfang von machomäßigen und sich kriminell verhaltenden Frauen, die ihn plump anmachen und – als er sich verbal wehrt – sexuell misshandeln sowie demütigen. Wie es weitergeht, ist erschreckend, vor allem, weil wir den Verlauf dieser Geschichte mehr als gut kennen.

Die Geschehnisse ereignen sich an einem Tag und wirken dadurch natürlich manchmal überspitzt und überladen, aber an jeder kleinen Geschichte, an jedem Wink mit dem Zaunpfahl ist sehr viel Wahres dran. Das wissen vor allem die Frauen. Jede von uns, das behaupte ich mal, wurde im Urlaub schon blöd angestarrt, weil sie im Bikini am Strand lag und die ein oder andere wurde sicherlich auch schon verbal belästigt oder gar angegriffen: Die Dunkelziffer von Übergriffen ist so groß, dass man es gar nicht glauben möchte. Der Punkt, dass der Frau ganz oft nicht geglaubt wird oder, wahrscheinlich durch die Vielzahl der Anzeigen, einige davon nicht mehr ernst genommen werden, ist ein Teil im Film, der sehr intensiv dargestellt wird.

Mir persönlich gefällt, wie stark in dem Kurzfilm herauskommt, dass Frauen in so vielen alltäglichen Lebenslagen unterschätzt, für dumm verkauft oder eben verbal angegriffen werden. Beispielsweise die Phrase „darüber spreche ich lieber mal mit Ihrem Mann“ kennen sicherlich einige Ehefrauen, wenn es um Verträge, Nachbarschaftsabstimmungen und Ähnliches geht.

Manche Klischees sind einfach Klischees und oftmals nicht ernst oder gar böse gemeint. Trotzdem existieren sie. Und die ausziehenden Blicke von Männern im Sommer, die blöden Sprüche im Vorbeigehen, das Betatschen in Menschenmengen und das Vermitteln, man sei für dies und das nicht qualifiziert, sind omni-präsente Tatsachen.
Fast sieben Millionen Mal wurde das Video mittlerweile bei YouTube angeklickt. Was die Männer wohl dazu sagen? Die Kommentare sind abgeschaltet.

Nachtrag: Als ich heute aus der U-Bahn ausgestiegen bin, hat ein Jugendlicher (!) ein Kussgeräusch in meine Richtung gemacht, sich über die Lippen geleckt und mich angeschaut, als wäre ich ein Stück Frischfleisch. Ich habe ihn zum Teufel geschickt. Zumindest innerlich. Denn genau das meine ich: Der fehlende Respekt im Umgang mit Frauen ist ein immens großes Problem. Und leider absolut keine Ausnahme.

Foto: Pin – up von Alan Kleina Mendes via flickr.com, cc by 2.0

Anika Landsteiner
Anika Landsteinerhttps://anikalandsteiner.de/
Anika Landsteiner wurde 1987 geboren und arbeitet als Autorin und Journalistin. Ihr Fokus liegt dabei auf gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, Tabuthemen, Feminismus und Popkultur. Als Kolumnistin nimmt sie uns mit auf ihre gedanklichen Reisen und gibt uns immer wieder neue Denkansätze.

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