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Die traurige Wahrheit über Alltagssexismus

Sexuelle Belästigung gehört zum Alltag nahezu jeder Frau – Ihre Kleidung, Aussehen, die Tageszeit und der Ort spielen dabei überhaupt keine Rolle. Das glaubst du nicht? Dann ist hier der Beweis.

Shoshana Roberts, 24, startete im August einen Selbstversuch: Sie läuft über die Straßen von New York, begleitet von einer Kamera. Sie ist nicht auffällig angezogen oder geschminkt, sie lächelt niemanden an, macht niemandem zweideutige Avancen und schaut die meiste Zeit nach unten. Auf ihrem 10-stündigen Trip wird sie dennoch über 100 Mal von wildfremden Männern angesprochen und belästigt.

„Ist doch nichts dabei“

Nun, viele mögen an dieser Stelle vielleicht nur leicht schmunzeln. Das soll Sexismus sein? Ja, das ist es tatsächlich. Es mag sein, dass dieses Video manches überspitzt darstellt, denn natürlich sind gegen viele, auch viele im Video gezeigte, Kommentare wie ein einfaches „Hallo“ oder „Wie geht’s heut so?“ nichts einzuwenden, aber gaffende Blicke, lüsterne Pfiffe und anzügliche Bemerkungen sind alles andere als ein Kompliment, sondern ein Sexismus-Phänomen, mit dem Frauen ständig konfrontiert werden. Wir sprechen hier nämlich nicht von charmanten Kontaktaufnahmen, sondern von frivol-provokanten Kommentaren. Wir sprechen auch nicht von einer vereinzelten Ausnahme, sondern vom alltäglichem Regelfall.

Und das besonders Traurige an der ganzen Sache: Wir haben uns mittlerweile so sehr an diese Art von subtilen Sexismus gewöhnt, dass er uns als solcher kaum mehr auffällt und in den allermeisten Fällen einfach nur höflich ignoriert und heruntergespielt wird. Denn dreiste Sprüche und nervige Pfiffe sind schon so „normal“ geworden, dass sich manche sogar wundern, wenn diese überhaupt als Beleidigung aufgegriffen werden. Frauen, die sich beklagen, werden gar nicht erst nicht ernst genommen. Aufregung über sexistische Bemerkungen wird als übertrieben dargestellt, als lächerlich, sexuelle Belästigung verharmlost. Solang es nicht zur Handgreiflichkeit oder extrem übler Beleidigung kommt, werden sexuelle Avancen runtergespielt. „Ist doch nichts dabei“ oder „Wieso so zickig?“ und „Man soll sich mal nicht so haben“ bekommt frau dann stattdessen an den Kopf geworfen, wenn sie sich gegen Belästigung wehrt. Vor allem Männer, aber auch immer mehr Frauen, können es oft nicht nachvollziehen, wieso eine „so kleine Äußerung“ Frauen in ihrem Alltag einschränkt. Dass unverschämte Kommentare über das eigene Aussehen und den eigenen Körper die persönliche Freiheit so sehr eingrenzen, dass Frauen sich über jeden Zentimeter der Rocklänge, des Ausschnitts und der Schuh-Absätze Gedanken machen müssen, tritt nicht ins Bewusstsein.

Wir befinden uns in einem großen, gesellschaftlichen Missstand

Erinnern wir uns mal zurück an die Sexismus-Debatte um FDP-Spitzenpolitiker Rainer Brüderle, der einer Stern-Journalistin während eines Interviews im Januar letzten Jahres anzügliche Bemerkungen machte. Zwar pushten die Medien die „Dirndl-Affäre“ zunächst zu einem Skandal auf, nur einige Tage später nahm die Diskussion allerdings schon eine ganz andere Richtung ein: Der Vorwurf der Journalistin wurde als „übertrieben“ abgestempelt, Brüderle, dem nun viele öffentlich den Rücken stärkten, als Opfer einer Medien-Kampagne. Eine Entschuldigung von seiner Seite bleibt bis heute aus. Es ist wohl wahr, dass viele Männer sich der Wirkung ihrer Worte nicht bewusst sind und diese auch nicht belästigend meinen, wenn die Augen jedoch selbst nach einer Zurechtweisung völlig verschlossen bleiben und das im Video dargestellte Problem nicht nur geduldet sondern öffentlich von Medien und Politikern als harmlos propagiert wird, befinden wir uns in einem großen, gesellschaftlichen Missstand, den wir selbst nicht als solchen anerkennen.

Sexismus und sexuelle Übergriffe sind keine Missverständnisse, sie sind Ausdruck gesellschaftlichen Fehldenkens und mittelalterlichen Rollenbildern, die dringend Überarbeitung benötigen. Wir wollen hier sicherlich keine unbegründet übertriebene Feminismus-Kampagne starten, doch wenn der Grat zwischen locker und hemmungslos, zwischen charmant und chauvinistisch so schmal geworden ist, dass er mehr als nur zu oft übertreten wird und diese Tatsache bei kaum jemanden Kopfschütteln auslöst, dann sind wir längst nicht so fortgeschritten, wie wir glauben und es gerne sein wollen.

Allerdings ist das hier auch ein Aufruf an alle Frauen (und natürlich Männer, die sich belästigt fühlen, denn mittlerweile werden auch immer mehr Männer Opfer von Sexismus und sexueller Belästigung): Lasst „Street Harassment“ nicht einfach so über euch ergehen. Was Shoshana im Video nämlich falsch macht: Sie bleibt stumm. Gerade als Opfer darf und muss man seine Stimme erheben, denn wer sonst sollte diesen ersten Schritt tun?

#aufschrei #hollback

Hien Thuy Dung
Hien Thuy Dung
Hien Thuy Dung ist ein echtes Urgestein unserer Redaktion und bringt ihre umfassende Expertise aus dem Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft ein. Mit ihrem Wohnsitz in der pulsierenden Metropole Frankfurt am Main hat sie den Finger stets am Puls der Zeit und ein wachsames Auge auf die neuesten Strömungen in der internationalen Modeszene und Popkultur. Ihre Artikel sind geprägt von einer tiefen Verständnis für globale Trends und digitalen Wandel, was sie zu einer unverzichtbaren Stimme in unserem Team macht. Hien Thuy Dungs Beiträge sind nicht nur informativ, sondern auch inspirierend, und spiegeln ihre Leidenschaft für die vernetzte Welt und ihre kulturellen Phänomene wider.

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